Im letzten Jahr war Marcel Krueger fünf Monate lang Stadtschreiber in Allenstein. In dieser Zeit entstand die Filmreportage „Spurensuche in Allenstein/Olsztyn“. Uwe Hahnkamp sprach mit Marcel Krueger.
Herr Krueger, „Spurensuche in Allenstein“ – passt der Titel zu Ihrem Aufenthalt als Stadtschreiber?
Ich denke, ja. Da war einerseits die genauere Suche nach der Geschichte meiner Großmutter Cecilia, die ich ja bereits literarisch verarbeitet hatte und die Suche nach Details zu ihrem Bruder, meinem Großonkel Franz oder Franciszek Nerowski, andererseits die Suche nach mir selbst und meiner Identität. Diese Vielschichtigkeit haben der junge Regisseur David Katz und sein Team genauso gut im Titel erfasst wie im Film selbst meine Arbeit. Es ist nicht leicht, einen Autor zu porträtieren und, obwohl ich selbst kein visueller Mensch bin, bin ich beeindruckt, wie energisch der Film rüberkommt.
Wie hat Ihnen das Stipendium geholfen?
Ohne finanzielle Unterstützung ist so ein Aufenthalt nicht möglich. Grenzüberschreitender Austausch von Menschen und Berichte, was ja im Blog ein Teil meiner Aufgabe war, sind sehr wichtig, um die jeweiligen Unterschiede zu verstehen. Der irische Politiker John Hume, Unterzeichner des Karfreitagsabkommens von 1998, hat es einmal so ausgedrückt: „Die Quintessenz der Menschheit ist die Differenz“. Zu deren Überwindung möchte ich beitragen. Auf der anderen Seite hat die Arbeit am Blog und die dadurch bedingte ständige Auseinandersetzung mit dem Alltag und den Menschen hier Struktur in meine Zeitplanung gebracht – das hat meinem Schaffen gut getan.
Welche Ergebnisse hat die Suche nach Franz Nerowski gebracht?
Relativ viele. Ich habe die Akten des polnischen Geheimdienstes aus dem Militärmuseum in Warschau bekommen. Franz Nerowski hatte für den Bund der Polen in Deutschland in der polnischen Genossenschaftsbank gearbeitet und war dann Angestellter dieser Bank auch in Berlin. Er hat während seines Dienstes in der Wehrmacht 1937-38 für den polnischen Geheimdienst spioniert und zum Beispiel Informationen über seine Einheit weitergegeben. 1941, als die Wehrmacht sich das Archiv des Geheimdienstes unter den Nagel gerissen hat, wurde er enttarnt, saß ein Jahr in Brandenburg-Görden im Zuchthaus und ist da als Volksverräter hingerichtet worden. Ich habe genug Informationen, um mein nächstes Buch daraus zu machen. Außerdem bin ich im Juni noch einmal mit zwei befreundeten Filmemachern aus Berlin hier in Allenstein, um einen kurzen Film über Franz Nerowski zu machen.
Worauf wird sich das Buch konzentrieren?
Es wird wieder ein Sachbuch mit zwei Ebenen werden. Die eine Ebene ist das Leben von Franz auf der Basis der gesammelten Materialien. Anders als bei meiner Großmutter, die ich noch selbst erlebt habe – und daher den Text in Ich-Form geschrieben habe – wird dieser Teil in der dritten Person geschrieben sein. Die andere Ebene umfasst Themen wie Loyalität und Identität, ich befasse mich auch mit Spionagetechniken der 30er Jahre, es soll mehr ein Zeitgemälde werden.
Stichwort Identität: hier ist die Großmutter, die als Deutsche in Russland landet, dort der Großonkel, der als Pole sein Leben für sein Land verliert. Kam das damals häufiger vor und was hat das bei Ihnen angestoßen?
Das ist etwas, was ich hier herausgefunden habe. Der Ermländer hatte eine eigene Identität, das war eine Identität „dazwischen“ und nicht klar getrennt, polnisch oder deutsch; mit den einen Nachbarn sprach man Polnisch, mit den anderen Deutsch, das war vollkommen normal. Dann bin ich hier überraschend einem Groß-Cousin begegnet, der als lebendes Mitglied meine Familie in Ermland repräsentiert, das war zusätzlich sehr emotional für mich. Bestätigt hat mich das alles in meiner Ansicht, dass Menschen zwei Identitäten haben können.Ich selber habe eine irische und eine deutsche Identität. Aber mich hat niemand zu einer Identität gezwungen oder mich deswegen bedroht. Es hat mich sehr berührt, dass Franz Nerowski seine Wahl getroffen hat, obwohl er dadurch in Todesgefahr geriet – und das mit Mitte 20, einem Alter, in dem ich mich selber für diese Art von Entscheidungen zu jung gefühlt hätte.
Was kommt jetzt auf Sie zu?
Ich möchte die Kontakte, die ich in Allenstein geknüpft habe, aufrecht erhalten, und wenn ich ein Botschafter der Stadt Allenstein in Deutschland und Irland sein kann, mache ich das gerne. Als Autor bin ich immer auf der Suche nach interessanten Geschichten und bei so viel spannendem Material in der Region und der Familie komme ich wieder.