Wie kann man junge Menschen dazu überzeugen, in der eigenen Region, im ländlichen Raum zu bleiben? Auf diese Frage wollte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) einer jungen Delegation aus Polen antworten. Unter den Vertreterinnen und Vertretern von Politik, Wissenschaft und Lokalaktivismus waren auch zwei Personen aus der deutschen Minderheit.

Für Rafał Wieczorek aus Leschnitz und Oliwia Drozdowicz aus Schweidnitz ging es am 5. Mai mit dem Flieger Richtung Frankfurt am Main, von wo sie sich mit sechs anderen jungen Menschen aus Polen auf den Weg in den Landkreis Aschaffenburg in Bayern machten. Erster wurde kürzlich seitens der Schlesischen Regionalpolitiker in den Leschnitzer Stadtrat gewählt, Oliwia Drozdowicz war wiederum vom Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit delegiert. In Aschaffenburg nahmen sie am Dialogprogramm der HSS teil, welches unter dem Motto „Deutschland und Polen im Gespräch: attraktiver ländlicher Raum für die junge Generation” stand.
„Uns geht es darum, die jungen Menschen aus Polen nach Bayern einzuladen und ihnen das Zusammenleben zwischen Stadt und Land näherzubringen. Wir wollen zeigen, wie die Menschen jenseits der größeren Städte leben und wie gut sich der ländliche Raum entwickeln kann”, erklärte Dr. Markus Ehm, Leiter des Regionalprojekts Mitteleuropa der Hanns-Seidel-Stiftung
Hochschulbildung in der Provinz
Laut dem Portal Forsal.pl planen in Polen die meisten Jugendlichen nach dem Abitur, ihren Herkunftsort endgültig zu verlassen. Sie ziehen in der Regel in die fünf größten polnischen Städte, manchmal auch ins Ausland. Nur etwa jede oder jeder Zehnte beabsichtigt, am Heimatort zu bleiben. In Deutschland ist die Tendenz anders. Dass dies so ist, fängt schon mit der Bildung an.
Das Dialogprogramm fand nicht ohne Grund im Landkreis Aschaffenburg statt. Der ländliche Landkreis liegt in der Metropolregion Rhein-Main und weist eine gut entwickelte Wirtschaft auf.
Am Montagmorgen ging es für die Gruppe an die Technische Hochschule Aschaffenburg. In Gesprächen mit dem Vizepräsidenten der Hochschule, Prof. Dr. Ivo Schäfer und dem Landtagsabgeordneten Prof. Dr. Winfried Bausback kam zur Geltung, dass Bayern in den 1990er-Jahren strategisch zahlreiche Fachhochschulen in kleineren Städten lokalisiert hatte. Die Experten erklärten, dass dies bis heute sehr positive Auswirkungen hat. „Denn die Unternehmen finden Fachkräfte, das ist der eine Vorteil, und der zweite ist, dass die Menschen ihre Heimat nicht mehr verlassen müssen, sondern Hochschulbildung vor Ort erhalten können.”
Oliwia Drozdowicz findet das Konzept gut, doch „für den jetzigen Moment in Polen nicht direkt umsetzbar”. Sie findet, es ist eine Richtung, in die man gehen sollte, doch es braucht noch viel Vorarbeit, um es in Polen so gestalten zu können wie in Bayern.
Wirtschaft schafft Arbeitsplätze

Das Dialogprogramm fand nicht ohne Grund im unterfränkischen Landkreis Aschaffenburg statt. Der ländliche Landkreis liegt in der Metropolregion Rhein-Main und weist eine gut entwickelte Wirtschaft auf. Die Delegation besuchte unter anderem das Fraunhofer Institut, Hyundai Motorsport GmbH und die Edelmetallgesellschaft MAIREC, die eine von sechs Unternehmen weltweit ist, welche sich mit dem Recycling von Elektroschrott und der erneuten Gewinnung der Edelmetalle beschäftigt. Aufgegriffen wurden Themen wie Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und die Förderung innovativer Branchen.
Selbstverwaltung neu orientiert
Am Montagabend stattete die Delegation einen Besuch im Rathaus von Alzenau ab. Die jungen Erwachsenen hatten die Möglichkeit, sich mit Stephan Noll auszutauschen, der mit 33 Jahren mitten in seiner ersten Kadenz als Bürgermeister der Kleinstadt steckt.
„Dieses Treffen fand ich sehr spannend, da wir in einem ähnlichen Alter sind und beide in der Lokalpolitik aktiv sind“, so Rafał Wieczorek von den Schlesischen Regionalpolitikern. „Zwei Themen sind mir besonders haftengeblieben. Erstens, wie die Gemeinde die Jugendlichen zur Partizipation motiviert. Das ist eines meiner Ziele, warum ich Gemeinderat geworden bin, nämlich, um die junge Bevölkerung aus Leschnitz ins lokale Leben einzubinden. Das zweite Thema waren erneuerbare Energien und wie sie in Alzenau eingesetzt werden. Leschnitz ist mit Ujest im Energiecluster verbunden. Ich würde mich jedoch darüber freuen, wenn eine Biogasanlage entstehen würde, denn das wäre ein weiterer Schritt hin zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Kleinstadt.”
Das Thema der Zusammenarbeit mit der jungen Generation wurde auch am Dienstag im Aschaffenburger Rathaus vertieft.

Fotos: Andrea Polański
Nach einem kurzen Stopp im Binnenhafen von Aschaffenburg ging es für die junge Delegation voller neuer Eindrücke und Erfahrungen auch schon wieder nach Polen.
Dr. Markus Ehm von der Hanns-Seidel-Stiftung hofft, dass die Delegation von den Erkenntnissen und Erfahrungen dieser Reise profitieren und sie zur Förderung von regionaler Entwicklung und jugendlichem Engagement in ihren eigenen Gemeinden nutzen wird.
„Ich denke, es gab zahlreiche Gelegenheiten, gute Eindrücke zu gewinnen. Was wir den jungen Menschen auf den Weg geben wollten, war die Idee, dass man nicht in einer Stadt leben muss, um einen hohen Lebensstandard zu haben, sondern dass dies auch in kleineren Ortschaften gelingen kann, und dass es vor allem von den Menschen selbst abhängt, wie die Lebensqualität im ländlichen Raum ist. Ich erhoffe mir davon, dass die jungen Menschen die Initiative ergreifen und sich politisch oder in Vereinen vor Ort einbringen.”
Andrea Polański