Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Ein Deutscher in Polen, ein Pole in Deutschland

Mit dem Spätaussiedler Simon Kopietzki aus Berlin sprach Andrea Polański über seine Familiengeschichte, die Definition von Nationalität und wie seine Identität in Deutschland und Polen wahrgenommen wird.


Simon, Du bist in Polen geboren, hast aber dann Deine ganze Jugend in Deutschland verbracht. Was genau ist Dein Background?
Wenn ich danach gefragt werde, was doch ziemlich oft passiert, sage ich immer, dass es kompliziert ist. Schaut man sich allerdings die Lebensläufe vieler Schlesier an, dann ist mein Background überhaupt nicht kompliziert, denn in sehr vielen schlesischen Familien kennt man Menschen mit diesen Lebensläufen, die für den sog. „Otto Normalverbraucher“ aber durchaus nicht typisch sind. Geboren bin ich in Kochlowitz, einem Stadtteil von Ruda. 1989 mit einem 14-tägigen Reisevisum ausgestattet, machte sich meine Mutter gemeinsam mit mir auf den Weg nach Baden-Württemberg zum Begräbnis meines Großvaters. Es war eine Reise, bei der das Rückticket nicht gebraucht wurde, denn meine Eltern entschieden sich in einem telefonischen Gespräch, dass wir in Deutschland bleiben und mein Vater unseren Haushalt auflöst und uns nachfolgt. So kam ich nach Lahr in den Schwarzwald, machte dort mein Abitur und Zivildienst und danach verschlug es mich zum Doppelstudium der Rechtswissenschaften an die Europa-Universität Viadrina und die Adam-Mickiewicz-Universität in Posen. Später lebte ich jahrelang abwechselnd auf der deutschen oder polnischen Seite der Grenzregion bis ich schließlich vor ca. 8 Jahren nach Berlin gezogen bin und hier arbeite und lebe.

Simon Kopietzki
Foto: privat

War es Dir zu dem Zeitpunkt, als Ihr ausgewandert seid, bewusst, dass Du deutsche Wurzeln hast?
Noch in Polen besuchten wir die Großeltern in Brinnitz und bei diesen Aufenthalten stellte ich immer wieder fest, dass irgendetwas „anders“ ist. Es gab mit Leder eingebundene Bücher mit komischer Schrift, in einer anderen Sprache, einen ganzen Stapel von Geldscheinen, Reichsmarken, mit denen man spielen konnte und ab und zu, wenn Besuch zu meinen Großeltern kam, wurde Deutsch gesprochen. Aber all diese Elemente waren aus meiner damaligen Perspektive eines 11-Jährigen einfach nur verwunderlich. Ich machte mir hinsichtlich meiner Identität und der Tatsache, dass es einen „Deutschlandbezug“ meiner selbst gibt, keine Gedanken. Das kam dann peu à peu.

Für viele Menschen in Schlesien ist es auf Grund der turbulenten Geschichte schwer zu definieren, welche Nationalität man eigentlich hat. Manche sehen sich noch als Deutsche, andere schon als Polen, wieder andere bezeichnen sich als Schlesier. Wie sieht es bei Dir aus?
Wenn man sich mit der eigenen Identität beschäftigt, merkt man ganz schnell, dass diese ja meist sehr facettenreich ist und dass die Reduktion auf ein Merkmal, auf einen Begriff der eigenen Identität ja nicht wirklich Rechnung trägt. Was sind denn die Wesensmerkmale eines durchschnittlichen Polen, Deutschen oder Schlesiers? Statistische Werte können da helfen, aber im Grunde genommen geht mit diesen Begriffen ja eine gewisse Stereotypisierung einher. Ich bin ein Schlesier, der überzeugter Europäer ist und über eine polnisch-deutsche kulturelle Prägung verfügt. Mir persönlich geht es sehr gut damit, es nicht eindeutig sagen zu können. Es ist eher die Außenwelt, die es eindeutig haben möchte, weil Gruppenbildung ja auch immer bedeutet, dass diejenigen, die sich nicht eindeutig zu einer Gruppe zuordnen lassen, ausgeschlossen werden. Das bringt mich also naturgemäß in die Rolle eines Mittlers zwischen den Kulturen.

Findest Du, dass der Begriff Nationalität heutzutage noch von Relevanz ist?
Aufgrund starker politischer Polarisierungen habe ich immer mehr das Gefühl, dass der Begriff der Nationalität negativ besetzt ist. Identität beschreibt ja die Art und Weise, wie Menschen sich selbst aus ihrer biografischen Entwicklung heraus in der ständigen Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt wahrnehmen und verstehen. Die Nationalität ist also nur ein Element unter vielen, die Einfluss auf unsere Identität haben. Also nicht unwichtig, aber auch nicht das wichtigste Kriterium. Eine Relevanz des Begriffes ist also durchaus gegeben, aufpassen sollte man allerdings mit einer zu starken Fixierung auf diesen Aspekt.

Du hast an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder studiert, wo die Studierenden polnisch-deutsch gemischt sind. Wie hast Du Dich in dieser Umgebung wiedergefunden, als wer hast Du Dich vorgestellt?
1989 kam ich als Pole nach Deutschland und musste erst das Deutsche erlernen. Der polnische Akzent wurde dann über Jahre weniger und an seine Stelle trat die badische Sprachfärbung. Mein Polnisch hatte wiederum eine schlesische Färbung, da ich zu Hause Schlesisch redete. Für meine polnischen Kommilitonen im Studium war ich ein Ausländer, bei dem das Polnische nicht das eines Polen war. Ein identitäres Wechselbad der Gefühle also. Aber in dieser Umgebung mit Polen und Deutschen fühlte ich mich jedoch ziemlich schnell wie ein Fisch im Wasser. Ohne dies irgendwie mit Absicht betrieben zu haben, wurde ich von den Deutschen als Experte für alles Polnische und für die Polen als Experte für alles Deutsche verstanden und war mit einem Mal interkultureller Berater. Lustig ist, dass ich diese Rolle auch weiterhin nebenberuflich als Trainer im Bereich der Interkulturalität im grenznahen Raum betreibe.

Ist es so, dass Du in Deutschland als Pole und in Polen als Deutscher wahrgenommen wirst? Spielt das Schlesischsein auch eine Rolle dabei, wie man Dich sieht?
Geboren bin ich als Szymon Kopiecki, aber nach der „Eindeutschung“ bin ich laut Personalausweis Simon Kopietzki. So oder so – in beiden Ländern werde ich zunächst als Pole betrachtet. Erst nachdem man mich etwas näher kennenlernt, beginnt der eine oder andere zu zweifeln. In Berlin ist ein solcher Vor- und Nachname kein großes Ding, denn es gibt viele „waschechte“ Berliner*innen, die eingedeutschte, polnische Nachnamen tragen und sich ihrer Familiengeschichte überhaupt nicht bewusst sind. In Polen ist das so, dass die meisten Menschen, die mit mir zu tun haben, mir gegenüber immer beteuern, dass ich doch Pole bin. Nur bei denjenigen, die ich über Jahre hinweg kenne, sagen, dass ich in einigen Aspekten sehr „deutsch“ bin. Den Menschen geht es ja immer darum, die Einordnung so vornehmen zu können, dass man sagen kann „Er ist einer von uns“. Wenn ich so recht überlege, dann können dies weder Polen noch Deutsche tun. Wer das tun kann, sind die Schlesier, die in ihren Familiengeschichten gelernt haben, mit der „nationalen Uneindeutigkeit“ umzugehen. Ich komme von „hier“ und hoffe, dass die Offenheit für die Uneindeutigkeit als Wesensmerkmal der schlesischen Seele bestehen bleibt.

Andrea Polański

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