Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

„Ein Museum lebt von unzähligen Geschichten”

Mit Daniel Mielcarek vom Sudetendeutschen Museum in München, sprach Andrea Polanski über die Einrichtung, ihre Zielgebung, sowie die Schicksale der Sudetendeutschen und anderer Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Das Sudetendeutsche Museum ist das zentrale Museum der deutschsprachigen Bevölkerung in den böhmischen Ländern und befindet sich in München. Wie kam es dazu, dass dieses Museum entstanden ist und warum gerade in Bayern?

Im Museum finden die Besucher Objekte, die Geschichten und Schicksale verbergen.
Foto: Andrea Polański

Die Sudetendeutschen sind meines Wissens nach die letzte größere deutschsprachige Volksgruppe aus dem östlichen Europa, die noch kein eigenes Museum hatte. Die Schlesier etwa haben ihr Museum in Görlitz, die Westpreußen in Warendorf oder die Ostpreußen in Lüneburg. Die Sudetendeutschen sind einer der vier Stämme Bayerns, neben den Altbayern, Schwaben und Franken. Bereits seit den achtziger Jahren steht das Sudetendeutsche Haus in München. Hier ist zum Beispiel der Sitz der Sudetendeutschen Stiftung, aber auch des Bundesverbandes der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Gleich daneben wurde 2020 das langersehnte Sudetendeutsche Museum eröffnet: in einem internationalen Viertel und einer internationalen Stadt!

Du bist ja von Anfang an als Verantwortlicher für die Öffentlichkeitsarbeit dabei. Was findest Du, zeichnet Euer Museum aus?

Die Kiste aus Zuckmantel, das gleich hinter der polnisch-tschechischen Grenze liegt, steht für die Vertreibung der Sudetendeutschen.
Foto: Andrea Polański

Ich bin zumindest der Erste, der die Aufgabe des Referenten für Öffentlichkeitsarbeit wahrnehmen darf. Umso schöner ist es, dass die Museumsdirektion es unterstützt und fördert, modern, jung und innovativ zu denken. Wir wollen weder ein begehbares Geschichtsbuch noch ein verstaubtes Museum sein. Hier wird Museum neu gedacht! Uns zeichnet neben den unerwarteten Museumskonzepten auch aus, dass wir ein großes Programm für Kinder und Jugendliche haben! Die tolle Architektur ist auch nicht zu verachten… Aber genug des Eigenlobs!

Ich hatte ja im April die Gelegenheit, Dich im Museum zu besuchen und kann dies nur bestätigen. Auf den verschiedenen Etagen werden jeweils andere Aspekte rund um das Thema der Sudetendeutschen aufgegriffen: Heimat und Glaube, Wirtschaft und Kultur sowie Geschichte. Was erwartet die Besucher in den Ausstellungen?

Die Besucher finden hier, meiner Meinung nach, mehrere Museen unter einem Dach vor. Das Sudetendeutsche Museum ist geschichtlich und kulturhistorisch geprägt, man findet aber auch Elemente eines Heimatmuseums, also spannenden Input zu Bräuchen, Religion, Handwerk oder Kunst. Wusstet Ihr etwa, dass nicht nur Porsche, sondern auch das weltweit längste Motorrad aus Böhmen stammt? Mindestens genauso elegant ist auch unser Gartenzwerg in der Ausstellung. Diese Erfindung wird den Sudetendeutschen zugesprochen. Man erfährt ebenso dass das berühmte Pilsner Bier zum ersten Mal ein Deutscher in Pilsen braute. Ich bin überzeugt, dass es auf den fünf Ebenen etwas, wenn nicht viel, für jeden Geschmack zu entdecken gibt. Auf „heitere“ Ebenen, die von den „Goldenen Zeiten“ der Sudetendeutschen berichten, folgen „düstere“ Ebenen, wie etwa die Zeit des Nationalsozialismus oder der Vertreibung.

Wie schon erwähnt, befasst sich eine der Ausstellungen mit Flucht und Vertreibung der Sudetendeutschen. Kann man von einer gewissen Universalität der Erfahrungen der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten reden?

Auch wenn ich selbst wahrscheinlich keine sudetendeutschen Wurzeln in der DNA habe, so hat mich diese Geschichte unglaublich berührt, da ich als kleiner Racker im Strampler mit wenigen Monaten schon zwei Staatsangehörigkeiten hatte. Ich kam als Spätaussiedler nach Deutschland, denn genau hier liegen die Wurzeln meiner Familie. Wenn wir aus Nationalismus und Nationalsozialismus nichts lernen, wiederholt sich leider die Geschichte von Krieg, Flucht und Vertreibung. Meine Familie ist aus dem sozialistischen Polen in die alte Heimat geflohen und heute passieren ähnliche Schicksale millionenfach: Man schaue in die Ukraine, nach Gaza oder Armenien, um nur einige Brandherde zu nennen. Keiner hat es verdient, aus seiner angestammten Heimat vertrieben zu werden und jeder sollte das Recht auf Sicherheit haben!

In dieser Ausstellung haben mich die Kisten aus Zuckmantel berührt, in die die Menschen ihr Hab und Gut bei der Vertreibung einpacken mussten. Gibt es bestimmte Exponate oder Geschichten im Museum, die Dich persönlich besonders berühren oder beeindrucken?

Das Museum lebt nicht nur von den Objekten allein, sondern auch von seinen unzähligen Geschichten. Bei der Annahme von Spenden inventarisieren die Kollegen einerseits die Objekte, andererseits halten sie aber auch die mitgelieferten Geschichten fest. Wir haben etwa ein Paar Ohrwärmer in der Ausstellung. Sie sind nicht gerade ein modischer Blickfang oder haben einen großen materiellen Wert, aber sie stammen von einer Dame, die sie nach der Vertreibung als Kind in der Wohnung trug: Nicht etwa, weil ihr so kalt war, sondern weil sie das Weinen und die furchtbaren Geschichten der Familie nicht ertragen konnte. Sie wollte sich von dem traumatisierenden Heimatverlust distanzieren. Sie schützen nicht nur ihre Ohren, sondern auch sie selbst.

Welche Rolle spielt das Museum in der heutigen sudetendeutschen Gemeinschaft, und wie trägt es zur Bewahrung und Weitergabe ihrer Geschichte bei?

Daniel Mielcarek ist seit Beginn für die öffentliche Präsenz des Sudetendeutschen Museums nach außen verantwortlich.
Foto: privat

Viele konnten oder wollten nicht über die grausame Zeit des 2. Weltkriegs und die anschließenden Vertreibungen sprechen und haben mit dem Kapitel früh abgeschlossen. Es ist zwar das gute Recht jedes Einzelnen, wie er oder sie die Geschichte verarbeitet, aber es ist durchaus ein Verlust, wenn sie oder ihre Nachfahren sich nicht ihrer Wurzeln bewusst sind. Nur wenn wir unsere Wurzeln kennen, lernen wir uns selbst kennen – und es gibt Vermutungen, dass in Bayern wohl jeder Vierte Wurzeln in Böhmen, Mähren oder Sudetenschlesien hat. Doch viele wissen es nicht einmal oder haben falsche bzw. einseitige Vorstellungen von diesen Volksgruppen, etwa dass sie revanchistisch oder rechtsextrem seien. Das Museum hält die Geschichte der Sudetendeutschen fest und macht sie anschaulich: durch Exponate in den Ausstellungen und die Veranstaltungen. Es steht für europäische bzw. demokratische Werte ein. Nur so stellen wir uns die Zukunft vor!

Inwiefern kooperiert das Sudetendeutsche Museum mit anderen Museen oder Institutionen, die sich mit ähnlichen Themen befassen, sowohl in Deutschland als auch international?

Das Sudetendeutsche Museum konzipierte bereits Ausstellungen mit anderen Museen oder hat sie „wandern lassen“, und bereits im Planungsstab des Museums waren internationale Fachkräfte und Institutionen beteiligt. Es kooperiert bei Veranstaltungen, wie der Konferenz „Sudetendeutsche Dialoge“, nimmt aber auch an Konferenzen anderer Institutionen teil, wie des Dokumentationszentrums der Deutschen in Polen.

Show More