Im Juni wurde im Zentralen Kriegsgefangenenmuseum in Lamsdorf (Łambiowice) im Rahmen von LernRAUM.pl der Vortrag „Gedenkstätte in Lamsdorf und das Jahr 1945 in Schlesien“ organisiert. Vorgestellt wurde die allgemeine Geschichte des Lamsdorfer Lagerkomplexes.
Referiert wurde über die 1860 gefallenen Entscheidung der preußischen Kriegsmächte, den Übungsplatz des VI. Armeekorps aus Karlowitz (heute ein Stadtteil von Breslau) in den Kreis Falkenberg (Niemodlin) zu verlegen sowie über den Anschluss der Eisenbahnlinie an das Dorf, auf deren Schienen im Ersten und Zweiten Weltkrieg die Kriegsgefangenen von zahlreichen Fronten Europas nach Lamsdorf gebracht wurden. Den Vortrag hatte der Verein Pro Liberis Silesiae für die Schüler der 7. und 8. Klassen der Vereinsschulen organisiert.
Fokus auf die Nachkriegszeit
Was die Geschichte des Nachkriegslagers in Lamsdorf angeht, konzentrierte sich die Referentin auf wichtige Fakten der Geschichte. Wie z. B, dass die Landkreisbehörden von Niemodlin im Juli 1945 in Lamsdorf ein Arbeitslager für sog. Reichs- bzw. Volksdeutsche oder Personen, die man für Deutsche aus der Umgebung hielt, einrichteten. Grund dafür waren die 16.000 Repatrianten aus dem Osten, die bereits in Oppeln auf ihre Ansiedlung warteten. In dem Nachkriegslager wurden Menschen aus über 150 Orten festgehalten, die zahlreichste Gruppe bildeten die Einwohner aus 30 umliegenden Ortschaften. Überwiegend waren es ältere Personen und Kinder. Zu dem Leben und den Bedingungen im Lager wurde das 2009 aufgenommene Interview mit Eryka Thomalla abgespielt. Die Aussagen von Frau Thomalla beinhalteten Reflektionen und viele Emotionen, die mit den Geschehnissen im Jahr 1945 zusammenhängen.
Zeitzeugin
Eryka Thomalla wurde am 15. Februar 1935 in Ellguth Hammer (Kuźnica Ligocka) geboren. Als 10-jähriges Mädchen wird sie Ende August 1945 zusammen mit ihrer Mutter und ihren drei kleinen Geschwistern (die 10 Wochen alte Monika stirbt nach ein paar Tagen im Lager vor Hunger) und allen Bewohnern von Ellguth Hammer in das Lager nach Lamsdorf gebracht. „Unser Dorf wurde umzingelt, dass keiner raus konnte. Meine Mutter nahm das Kind in den Wagen und legte Brote hinein. Im Lager traten die Wachmänner die Brote wie Bälle, und uns haben sie kein Stück zum Essen gegeben. Wir haben ständig geschrienen ‚Mama! wir haben Hunger!‘, und woher sollte die arme Mutter für uns das Essen nehmen? Nach den drei Tagen bekamen wir dann so einen Tee, den ein Hund jetzt nicht trinken würde und alte Kartoffeln. Es war schon September“, schilderte Eryka Thomalla. „Als wir ausstiegen, wurde eine Revision durchgeführt. Meine Mutter hatte zwei Schichten Kleidung an, die schlesische Tracht. Diese musste sie ausziehen, dort hatte sie ihre Eheringe versteckt. Alles wurde weggenommen. Mir hätten sie fast die Ohre abgeschnitten, weil ich Ohrringe hatte. Die musste ich auch schnell abgeben. Ich sage Euch, das Leben dort war schwer. Ich habe bis heute Angst“, sagt Eryka Thomalla in dem Interview. Die Zeitzeugin ist am 10. Oktober 2019 gestorben. Bis zum ihren Lebensabend plagten sie die Erinnerungen an die Geschehnisse im Lager Lamsdorf und an die Gerichtsprozesse, die ab dem Ende der 1990er Jahre im Oppelner Gericht gegen den ersten Lagerkomandanten Czesław Gęborski, der als 20-jähriger Feldwebel der Miliz Kommandant des Lagers wurde, geführt wurden. Als eine von wenigen ehemaligen Lagerinsassen traute sich Eryka Thomalla damals, als Zeugin in den Prozessen auszusagen.
Jahrzehntelanges Schweigen
Genannt wurden beim Vortrag auch wichtige Daten, wie beispielsweise, dass der letzte Lagerkommandant Alojzy Szebesta später Ortsvorsteher von Lamsdorf wurde, und dass über die Geschehnisse im Nachkriegslager bis zum politischen Umbruch 1989 nicht gesprochen werden durfte. Erst dann wagten es auch Historiker, das Thema gründlich zu erforschen. Schon wesentlich früher, 1969, publizierte dank des Bundes der Vertriebenen in Deutschland der Lagerarzt Heinz Esser sein Buch „Die Hölle von Lamsdorf“, das zahlreiche Male neu verlegt wurde. 2013 eröffnete das Zentrale Kriegsgefangenenmuseum in Lamsdorf eine Dauerausstellung zu dem Nachkriegslager, bei der auch Eryka Thomalla als Zeitzeugin ihre Erlebnisse von damals erzählt. Die Schüler erfuhren zudem, dass es in Oberschlesien über 100 und in ganz Polen etliche hundert (manche Historiker nennen sogar die Zahl 1.300) Nachkriegslager gab.
Erinnerungsort
Da im Museum im Moment alle Dauerausstellungen abmontiert sind, weil die Mitarbeiter an neuen Ausstellungen arbeiten, begaben sich die Schüler nach dem Vortrag gleich zu den Überresten des Lagerkomplexes. Sie sahen den großen Friedhof mit Einzelgräbern der Soldaten aus dem Preußisch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg sowie die symbolischen Kreuze, die an der Stelle der Massengräber der im Zweiten Weltkrieg im Lager Gestorbenen errichtet worden sind. Sie lernten auch die Geschichte des symbolischen Friedhofs für die Opfer des Nachkriegslagers vor Ort kennen. Der Erinnerungsort ist nicht ohne Hindernisse entstanden: das 1993 erstellte erste Holzkreuz wurde angezündet, das 1995 vom Verband Deutscher Gesellschaften aufgestellte Beton-Sühnekreuz wurde mit Ketten umwickelt und (von bis heute unbekannten Tätern) wurde versucht, mit einem Traktor dieses Kreuz aus dem Boden zu reißen. Der 2002 eröffnete symbolische Friedhof für die Opfer des Nachkriegslagers war schon ein Jahr früher fertig, aber die Namen der im Lager Verstorbenen, die auf den Tafeln stehen, mussten erneut durch die Behörden geprüft werden. „Im Unterricht sprechen wir über die Fakten zur Geschichte der Weltkriege, die große Politik, die Hölle, durch die die jüdische Bevölkerung in Lagern wie Auschwitz gegangen ist. Es bleibt aber kaum Zeit für unsere lokale Geschichte, die unsere Identität prägt. Deswegen haben wir uns entschieden, eine Geschichtsstunde an diesem schicksalhaften Ort zu machen“, sagt Kamil Żyłka, Geschichtslehrer in der Vereinsschule in Raschau und Oppeln.
Das Interview mit Eryka Thomalla können Sie auf der Internetseite des Projektes Archiv der Erzählten Geschichte unter e-historie.pl hören.