Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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EU-Minenfelder

Liegnitzer Bombe aus der Schlesischen Bäckerei der Familie Hübner in Horka bei Görlitz
Liegnitzer Bombe aus der Schlesischen Bäckerei der Familie Hübner in Horka bei Görlitz

Nach dem Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG) darf der „Schlesische Streuselkuchen“ von schlesischen Bäckern in Deutschland weiter hergestellt und verkauft werden. Doch gibt es nur Gewinner nach dem EU-Entscheid?

 

Seit dem 22. Juli 2011 ist der „Kołocz śląski“ und „Kołacz śląski“ sowie der „Schlesische Streuselkuchen“ (in deutscher Übersetzung) laut EU-Verordnung ein geografisch geschützter Produktname, der ausschließlich in der Woiwodschaft Oppeln und im größten Teil der Woiwodschaft Schlesien hergestellt und unter diesem Namen auch verkauft werden darf. Vor in Kraft treten dieses Entscheids Ende 2011 verstrich eine Frist von sechs Monaten, in welcher Jedermann hätte dagegen Einspruch einlegen können. Die deutschen Interessenverbände legten dagegen keinen Einspruch ein, da sie von einem „Schlesischen Streuselkuchen“, der sich unter der Bezeichnung „Kołocz śląski“ verbarg, nichts wussten.

 

Die Nachricht von dieser neuen „EU-Streuselkuchen-Verordnung“ schlug kurz vor Weihnachten 2011 bei den schlesischen Bäckern in Deutschland wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein und rief eine Welle der Empörung hervor, und zwar sowohl bei den Bäckern im schlesischen Görlitz, als auch in Westdeutschland.

 

Doch nach dem anfänglichen „Nein“ zeigten sich immer mehr Mitglieder des Zweckverbands in Oberschlesien offen für eine geografische Erweiterung des Konsortiums. Nach Gesprächen des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. mit dem Konsortium der Hersteller des „Kołocz śląski“ im Mai 2015 einigten sich beide Seiten darauf, dass der Zentralverband eine Klage beim EuG einreicht, da die zuständige EU-Kommission in Brüssel eine außergerichtliche Einigung abgelehnte – eine geografische Ausdehnung des Konsortiums auf das gesamte Bundesgebiet, wo schlesische Bäcker verstreut leben, wäre unmöglich gewesen. „Unser Hauptziel war es von Anfang an, für den Schlesischen Streuselkuchen in der Öffentlichkeit zu werben und dessen Verkauf fördern. Eine Eskalation des Streits hätte niemandem genützt. Mit der Entscheidung des EuG können wir sehr gut leben“, bestätigte der Vorsitzende des Konsortiums Benjamin Godyla.

 

Der Klage des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. entsprach nun das EuG in Luxemburg (vgl. Wochenblatt 1228, S 3). Die Bezeichnung „Schlesischer Streuselkuchen“ in der deutschen Fassung des EU-Amtsblatts sei ein redaktioneller Fehler gewesen, heißt es dort. Folglich werde „Schlesischer Streuselkuchen“ nicht von der geschützten geografischen Angabe „Kołocz śląski“ oder „Kołacz śląski“ erfasst. „Wir freuen uns, dass das EuG klargestellt hat, dass deutsche Bäcker weiter Schlesischen Streuselkuchen herstellen und verkaufen dürfen. Das ist ein Erfolg für das Bäckerhandwerk. Unsere Klage richtete sich nicht gegen die polnischen Handwerksbäcker, zu denen wir sehr freundschaftliche Beziehungen unterhalten“, erklärte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. Michael Wippler. „Das EuG hat mit seiner Entscheidung eine win-win-Situation geschaffen: Die Eintragung der Bezeichnung „Kolocz slaski/Kolacz slaski“ bleibt bestehen, die deutschen Bäcker dürfen aber weiter „Schlesischen Streuselkuchen“ herstellen und verkaufen“, ergänzt Rechtsanwalt Dr. Friedemann Berg, Geschäftsführer und Justitiar beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. Nach der Beilegung des „Streuselkuchenstreits“ scheint es also auf allen Seiten nur Gewinner zu geben…

 

Doch EU-Streits verlaufen jedoch nicht immer so glimpflich. Die Liste der Herkunftsbezeichnungen von Agrarprodukten und Lebensmitteln, die einen Produktnamen führen und von der EU geschützt werden, ist lang: Odenwälder Frühstückskäse, Fränkischer Grünkern, Thüringer Rostbratwurst, Spreewälder Gurken, Schwäbische Maultaschen und und und. Die jeweiligen Hersteller, beziehungsweise Erzeuger aus diesen Regionen, können werbewirksam ihre Produkte anpreisen. Bei grenzüberschreitenden Produkten gibt es jedoch immer wieder Ärger.

 

So beispielsweise beim EU-Entscheid über den Tokajer Wein. Der Name „Tokajer Wein“ leitet sich von der Stadt Tokey (Tokaj) ab, im Nordosten Ungarns gelegen, und Wein mit dieser Bezeichnung darf nur im Tokeyer Weinbaugebiet gekeltert werden. Einen riesigen Streit gab es jedoch zwischen den Weinproduzenten aus dem genannten Anbaugebiet in Ungarn und jenen aus der Slowakei. Im Jahre 2008 entschied das EuG, dass auch die slowakischen Weinproduzenten den Namen verwenden dürfen, weil knapp zehn Prozent des Tokeyer Anbaugebietes auf dem Territorium der Slowakischen Republik südlich von Kaschau (Košice) liegt.

 

„Wir als Zentralverband fordern, dass auf europäischer Ebene vor der Eintragung von geografischen Herkunftsbezeichnungen eine obligatorische Anhörung der betroffenen Verbände geführt wird. Dies ist zwingend notwendig, um zukünftig Konflikten vorzubeugen. Wir sind sonst gezwungen, jede Woche zu überprüfen, ob eine neue Eintragung vorgenommen wurde, die womöglich einen potentiellen Zündstoff bietet“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Berg. Vor allem regionale Produkte aus Gebieten, aus denen die Bevölkerung nach 1945 vertrieben wurde, gleichen oft Minenfeldern, die von der EU-Bürokratie geschaffenen wurden. Die EU schützt zwar regionale Produkte vor möglichen Nachahmern – andererseits nimmt sie oft den Erfindern das Recht, die ursprüngliche Bezeichnung zu behalten. So ist es im Falle von Karlsbader Oblaten (Karlovarské oplatky): Die vertriebenen Produzenten aus dem Sudetenland haben hier gegenüber den Herstellern in Tschechien das Nachsehen. Die EU-Vorgaben sind keinen „Bayrischen Pfifferling“ wert.

 

Wird die EU aus dem „Schlesischen-Streuselkuchen-Streit“ eine Lehre ziehen? Vorerst ist jedenfalls erhöhte Wachsamkeit geboten. Vor einer mehrfachen Bezeichnung „Königsberger Klopse“ und „Königsberger Marzipan“ müssen wir wohl keine Angst haben, da dieses Gericht bzw. die Süßigkeit bei den heutigen russischen Bewohnern Königsberg (Kaliningrad) nicht bekannt sind. Aber es gibt jede Menge weiterer regionaler Erzeugnisse vor allem in Schlesien, die Zündstoff beinhalten.

 

Gnade uns Gott, wenn irgendwann ´mal die „Liegnitzer Bombe“ hochgeht.

 

Johannes Rasim

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