Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Friedhof wird zum Abenteuer

Der Verband der deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen erweitert den kulturellen Horizont. Ein neuartiges Jugendprojekt hat, trotz anfänglicher Skepsis, viel Anklang gefunden. Im Norden Polens ist man auf etwas gestoßen, das mit einem überraschenden Unterfangen verbunden war. In der Region haben viele Orte, in denen die Deutsche Minderheit lebt, einen alten Friedhof.

 

Jugendliche aus verschiedenen Teilen Polens machten sich auf nach Rowe (Rowy) in der Gemeinde Stolpmünde (Ustka) an der Ostsee. Ihre Mission: „Vor dem Vergessen bewahren“, so lautete der Titel des Projekts. Am Montag angekommen, wurde der evangelische Friedhof von Rowe in Augenschein genommen, um dann festzustellen, dass er auf den ersten Blick gar nicht zu sehen war. Ein Hügel, ein Wäldchen, ein Friedhof?

 

Mit geeinten Kräften haben die Schatzsucher ganze Arbeit geleistet. Foto: VdG/facebook.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit erfahrener Unterstützung
Mit Rechen und Schaufeln bewaffnet, machten sich die Jugendlichen in Teamarbeit fleißig ans Werk. Es galt, den überwucherten Friedhof in Rowe (Rowy) erst einmal aufzuräumen und überhaupt aus der Erde zu holen. „Ganz außergewöhnlich war, dass wir den Friedhof selbst ausgraben mussten. Die meisten dachten, dass wir dort Denkmäler putzen oder Blumen pflanzen und nicht mit Metalldetektoren suchen würden“, berichtet die 18-jährige Melissa Adler aus Guttentag, eine der 20 Teilnehmer.
Erfahrene Unterstützung erhielten die eifrigen Arbeiter von dem lokalen Geschichtsverein „Orzeł“ (dt. Adler). Die Non-Profit-Organisation setzt sich seit einigen Jahren für das regionale Identitätsbewusstsein in der Touristenregion ein, u. a. pflegt sie historische Anlagen wie eben alte Friedhöfe. Obwohl der Verein sich selbst als polnisch und patriotisch sieht, mussten sich die Mitglieder schon nationalistische Vorwürfe anhören, wenn sie Verlorengeglaubtes wieder ans Licht brachten. Der moderne Patriotismus bedeutet für “Orzeł” aber nicht, die Augen vor der Geschichte der Region, die nun einmal eine deutsche war und so auch erzählt werden sollte, zu verschließen. So war der Verein offen für das Projekt des VdG und stellte die nötigen Gerätschaften zur Verfügung.
Nach dreitägigem Buddeln unter der strahlenden Augustsonne wurden die Grabkreuze ordentlich konserviert. Die Teilnehmer fertigten eine fotografische und schriftliche Dokumentation all der Kostbarkeiten an. Man kann wahrlich von wertvollen Dingen sprechen: eine Münze aus dem Jahr 1591 ist das unglaublichste aus einer großen Menge an Fundstücken. Ebenso sind zum Teil sehr gut erhaltene Monumente, Mahnmale, Gedenksteine mit Gedichten und Versen entdeckt worden.

 

Zusammenarbeit
Die Arbeiten wurden stets unter den Jugendlichen aufgeteilt. Betreut wurden sie von Magdalena Lemańczyk, Regionalkoordinatorin und Beata Sordon, Jugendbeauftragte des VdG, die das Geschehen beobachtete: „So kam der Kontakt zustande. Sie mussten miteinander sprechen, deswegen hat der Friedhof sie irgendwie zusammen gebracht. Das hat sie zusammen geschweißt, keinen auf dem Weg zum Ziel zurückzulassen, weil sie sich ja gegenseitig brauchten.“
Stadtbesichtigungen, eine Schifffahrt auf der Ostsee und Strandausflüge standen auf dem Freizeitprogramm. Die Blücher-Bunker in Stolpmünde wurden aufgesucht, die auch über 70 Jahre der Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Um schließlich dem allgemeinen Unwissen mit fundiertem Wissen zu begegnen, fand ein Geschichtsabend statt. Der Vorsitzende des VdG, Bernard Gaida, Vertreter des Deutschen Generalkonsulats in Danzig, die Ortsvorsteherin von Rowe Jadwiga Fudala und weitere Vertreter der Gemeinde Stolpmünde besuchten die vorbereitete Endpräsentation der Jugendlichen. Ein Historiker sprach über das Leben der Bewohner vor dem 2. Weltkrieg. Zeitzeugen der deutschen Minderheit Stolp und Köslin ergänzten das Bild.
„Wir werden das Projekt weiterführen, im nächsten Jahr fahren wir wieder nach Rowe, da es dort noch sehr viel Arbeit gibt und wir helfen möchten“, sagt Beata Sordon. Neben Kirchenmitgliedern, die dort beigesetzt wurden, lassen sich vielleicht noch Erinnerungsstücke an Schiffbrüchige finden, sodass es sich um einen Friedhof von internationaler Tragweite handeln könnte. Andere Gemeinden im Norden Polens sind auf die Gruppe aufmerksam geworden und schätzen ihr Tun sehr. Sie wollen sie einladen, um noch weitere unentdeckte und doch bedeutende Orte zu erforschen.

 

 

Petra Lulei

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