Am vergangenen Sonntag war für die deutsche Minderheit in Oberschlesien der St. Annaberg das Zentrum des Geschehens. In der Lourdesgrotte fand die Minderheitenwallfahrt statt, die diesmal vom Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr geleitet wurde.
Knapp 1.500 Menschen kamen an diesem sonnigen Tag auf den heiligen Berg der Oberschlesier. Manche von weit her, wie die Gruppe der Landsmannschaft Oberschlesien aus München, die wie immer in oberschlesischer Tracht und Bergmannskluft ein Hingucker war, oder Vertreter der deutschen Vertriebenen mit Egon Primas, dem Vorsitzenden der Ost- und Mitteleuropa Vereinigung der CDU/CSU, an der Spitze. Andere hatten es leichter, wohnen sie doch in der Region. Zu ihnen gehören Barbara und Henryk Gabor aus Przywor bei Oppeln. Sie nehmen seit Jahren an der Minderheitenwallfahrt teil. „Es gehört einfach zum Jahresablauf dazu, dass wir am ersten Junisonntag auf den St. Annaberg kommen. Auch meine Mutter, die leider altersbedingt nicht mehr die gesündeste ist, lässt es sich nicht nehmen und will immer mitfahren zur Heiligen Anna“, erzählt Barbara Gabor.
Die diesjährige Wallfahrt stand unter dem Motto „Freut euch im Herrn, seid eines Sinnes, haltet den Frieden“. Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr nahm diesen Spruch auf und bezog sich in seiner Predigt u. a. auf den tobenden Krieg in der Ukraine. Er sprach aber auch die Situation der Minderheiten und die Lage der Christen an. Neymeyr unterstrich, dass Gottvertrauen nicht bedeute, man wäre sein Sklave, sondern man könne ihn, frei von Furcht und voll innerem Frieden, Vater oder gar Papi nennen.
Noch vor Beginn des Hochamtes sprach Rafał Bartek, der Vorsitzende des Verbandes deutscher Gesellschaften, zu den in der Lourdesgrotte Versammelten. „Es ist immer wieder aufs Neue schön, sich hier auf dem heiligen Berg bei der traditionellen Wallfahrt der Minderheiten zu treffen. Denn gerade hier auf dem Sankt Annaberg haben unsere Vorfahren in schwierigen Zeiten immer wieder aufs Neue Kraft schöpfen können“, sagte Bartek und bezog sich zunächst auf die Situation des Deutschunterrichts an polnischen Schulen.
„Polenweit sind es über 55.000 Kinder, denen aufgrund der deutschen Nationalität der Zugang zur deutschen Sprache an den Schulen begrenzt wurde. Von bisher lediglich 3 Stunden Deutschunterricht erhalten sie jetzt nur noch 1 Stunde Deutsch in der Woche. Trotz vieler Versprechen, auch vom Bildungsminister selbst, bleibt die diskriminierende Verordnung immer noch in Kraft“,
so VdG-Chef Bartek. Ein weiteres Problem ist die aktuelle antideutsche Politik der Regierung, von der vor allem die in Polen lebenden Deutschen betroffen seien. „Wenn man nämlich über die Deutschen schlecht spricht und die Deutschen für alles schuldig macht, dann spricht man so auch über uns, über die loyalen Staatsbürger Polens deutscher Nationalität“, sagte Bartek.
Thomas Bagger, der deutsche Botschafter in Warschau, nahm ebenfalls an der Wallfahrt teil. In seinem Grußwort an die Pilger knüpfte er an die Rolle der deutschen Minderheit an. „Auch wenn es an der Spitze der deutsch-polnischen Beziehungspyramide etwas stürmisch ist, so hat sie doch eine feste Basis, die getragen wird von den vielen Begegnungen und allen, die wissen, dass die Minderheit eine Bereicherung ist – nicht nur, weil sie mehr ist als nur deutsch oder polnisch, sondern weil sie auch den Menschen in der Region und im ganzen Land etwas zu geben hat. Ich will Sie deshalb ermutigen, auch in diesen für die deutsche Minderheit wahrlich nicht einfachen Zeiten beharrlich und geduldig weiter zu arbeiten an dem, was Willy Brandt einmal so treffend beschrieben hat als „außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen“, betonte der Botschafter.
Der polnische Vizeinnenminister Błażej Poboży hatte sich mit einem Schreiben an die Pilger gewandt.
Nach dem feierlichen Hochamt folgte am Nachmittag die traditionelle Vesperandacht.
Rudolf Urban