Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Geschichte hat mich schon immer fasziniert“

Mit Marie Dagmar Łuczyńska, einer jungen Deutschen aus Krakau, sprach Andrea Polański über ihre Herkunft, ihre Aktivitäten im Bund der Jugend der deutschen Minderheit und die deutsche Geschichte der Hauptstadt Kleinpolens.


Wenn man von der deutschen Minderheit in Polen spricht, meint man in der Regel Menschen deutscher Herkunft in Ober- und Niederschlesien, in Ermland und Masuren sowie im ehemaligen Ostpreußen. Woher kommen also die Deutschen in Krakau?
Die Deutschen waren seit der Gründung der Stadt im Jahr 1257 in Krakau präsent und bildeten viele Jahrhunderte lang die zahlreichste Nationalitätengruppe. Die zweite Welle von Siedlern kam in der österreichischen Zeit. Sie war nicht mehr so groß wie die mittelalterliche, umfasste aber hauptsächlich gebildete Schichten – Beamte, Ingenieure, Militärs. Zu dieser Zeit begann sich auch das deutsche kulturelle und gesellschaftliche Leben in Krakau zu organisieren. Trotz eines weitaus größeren Zustroms von Polen und der Polonisierung eines Teils der Siedler lebten im Jahr 1900 4.500 deutsche Katholiken und Evangelische in der Stadt. Zusammen mit Biała und Nowy Sącz war es eine der drei größten deutschen Gemeinden in Westgalizien.

Du erwähnst das deutsche kulturelle und gesellschaftliche Leben, das in Krakau stattfand. Wie sah das genau aus, welche Ereignisse gab es und dienten sie auch der Integration mit den Polen und anderen Bewohnern der Stadt?
Das wichtigste kulturelle und gesellschaftliche Zentrum der Deutschen vor Ort war die evangelische Kirchengemeinde St. Martin. Sie verfügte über eigene Schulen: eine Grund- und eine Mittelschule sowie eine umfangreiche Bibliothek. Die durchgeführten Aktivitäten zielten natürlich darauf ab, die Identität der deutschsprachigen Gemeinde zu bewahren, aber da auch polnische Protestanten zur Gemeinde gehörten, fand offensichtlich eine gewisse Integration an der Basis statt. Bis 1918 waren die Beziehungen zwischen den beiden Gruppen freundschaftlich und sie teilten sich gemeinsamen Besitz. Erst mit der Gründung der Zweiten Republik Polen kam es zu einem Konflikt, der in einer Spaltung in zwei Gemeinden endete, die sich verschiedenen nationalen Kirchen anschlossen. Trotz des bescheideneren Vermögens betrieb die deutsche Gemeinde in den folgenden Jahren weiterhin eine Privatschule und verteilte deutsche Zeitungen aus Bielitz und Lemberg. Erwähnenswert ist auch die Zweigstelle des Verbands Deutscher Studenten (VDH), die an der Jagiellonen-Universität angesiedelt war und über ein eigenes Studentenheim verfügte.

Welche Spuren dieses Erbes sind in der kleinpolnischen Hauptstadt noch zu finden?
In den Krakauer Kirchen finden sich zahlreiche Werke deutscher Künstler, die im mittelalterlichen Krakau tätig waren, wie etwa das allseits bekannte Marienaltarbild von Veit Stoß oder die Polychromien von Hans von Kulmbach in der Wawel-Kathedrale. Auf dem Rakowicki-Friedhof, der ältesten Nekropole der Stadt, sind Dutzende von Grabsteinen mit deutschsprachigen Inschriften erhalten geblieben. Nicht zu vergessen ist auch der weitreichende Einfluss auf die Stadtplanung und Architektur Krakaus: der Magdeburger Plan der Altstadt, die mittelalterlichen Mietshäuser nach schlesischem Vorbild oder der Parkgürtel Planty, der eine Kopie des Wiener Rings ist.

Marie Dagmar Łuczyńska
Foto: privat

Wenn man als Tourist Krakau besucht und den gängigen Routen folgt, stößt man kaum auf Elemente, die mit dieser deutschen Geschichte verbunden sind. Ob sie den gebürtigen Krakauern selbst bekannt ist?
Leider sehr wenig. Es gibt zwar Krakauer, die überwiegend aus der deutschen Intelligenz des 19. Jahrhunderts stammen und in ihren Familien noch immer die kaiserlich-königliche Tradition pflegen. Gemessen an der Größe der Stadt ist dies jedoch eine kleine Gruppe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Bevölkerung Krakaus in den letzten 75 Jahren vervierfacht hat, vor allem durch den Zuzug aus Gebieten, die mit der deutschen Kultur nichts zu tun hatten. Der weit verbreitete Mythos von Galizien als einem polnischen Piemont ohne nationale Minderheiten, begleitet von fiktiven Anekdoten über österreichische Beamte, die nach der Lektüre von Sienkiewiczs Trilogie beschlossen, Polen zu werden, hatte ebenfalls einen großen negativen Einfluss. In den letzten Jahren gab es allerdings einige Fortschritte, die vor allem auf die Arbeit von Prof. I. Röskau-Rydel zurückzuführen sind, die das Leben der deutschen Gemeinschaft in Krakau in der Vergangenheit untersucht.
Heute trifft man nicht mehr oft auf junge Menschen, die sich für Geschichte und Identitätsthemen interessieren. Woher kommt Dein Interesse an diesem Thema und Dein Herkunftsbewusstsein?
Ich habe meiner Familie viel zu verdanken. Ich komme aus einem vorwiegend intellektuellen Umfeld und die Pflege von Traditionen sowie die Erinnerung an meine Vorfahren waren bei mir zuhause immer sehr wichtig. Ich habe daraus eine Verbundenheit mit der deutschen Kultur und der kaiserlich-königlichen Tradition mitgenommen. Und Geschichte war für mich schon immer etwas Faszinierendes. Noch immer warten im Dunkel der Vergangenheit nicht weniger Entdeckungen auf uns als in wissenschaftlichen Labors.

Du hast auch schon Projekte zur deutschen Geschichte Krakaus durchgeführt. Könntest Du näher erläutern, um welche Aktivitäten es sich dabei handelt?
Ja, ich mache eine Bestandsaufnahme der deutschen Grabsteine auf dem Krakauer Rakowicki-Friedhof. Ich fotografiere und beschreibe jedes Objekt und transkribiere die Inschriften. Ich möchte, dass diese Arbeit in die Veröffentlichung eines Katalogs mündet. Vielleicht findet jemand darin das Grab seiner Verwandten…

Du hast im November 2021 Deine eigene BJDM-Ortsgruppe gegründet. Woher kam die Idee und wie groß war das Interesse der jungen Krakauer?
Seit Ende der 1990er Jahre ist die Pfarrgemeinde St. Barbara das einzige Zentrum der deutschen Kultur in der Stadt geblieben. Es gab also eine bedeutende Nische. Wie ich bereits erwähnt habe, ist mir die Identität sehr wichtig und ich fand, dass es sich im Zeitalter der Globalisierung lohnt, anderen jungen Menschen zu zeigen, dass sie gepflegt werden muss. So entstand die Idee, eine BJDM-Gruppe in Krakau zu gründen. Sie hat derzeit zehn Mitglieder, sowohl Autochthone aus Krakau als auch Studenten aus Schlesien.
Ich denke, für die meisten von uns ist es in erster Linie ein Ort, um andere junge Deutsche zu treffen, Zeit miteinander zu verbringen und Deutsch zu sprechen. Was uns eint, ist, dass wir unsere Identität nicht vergessen und versuchen, sie zu entwickeln. Viele von uns haben auch eine Leidenschaft für die Kultur in ihren verschiedenen Aspekten, daher sind kulturelle Projekte für uns natürlich besonders wichtig.

Welche Projekte habt Ihr bereits durchgeführt und was sind Eure Pläne für die Zukunft?
Bislang haben wir zwei Projekte abgeschlossen. Das erste, „Wort des Tages“, bestand darin, täglich einen Bericht auf dem Instagram-Account des BJDM mit einem interessanten deutschen Wort zu veröffentlichen. Das zweite, „Leseratten“, zielt auf die Förderung der deutschen Literatur und des Lesens im Allgemeinen bei Vorschulkindern ab. Derzeit bereiten wir uns auf weitere Leseveranstaltungen im Rahmen der Leseratten vor und planen einen Abend mit deutscher Lyrik. In lockeren Gesprächen kommt auch die Vision einer deutschsprachigen Theatergruppe auf, aber das ist ein Thema für die fernere Zukunft.

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