Die Familie Hilbert hat im 19. Jahrhundert die erste Dampf-Mühle in Schlesien erbaut. Eine Stiftung, die schlesische Industriedenkmäler rettet, hat die Mühle nach der Schließung im Jahr 2016 vor der Zerstörung bewahrt. Als Relikt einer längst vergangenen Zeit ist sie jetzt ein Museum, über das man nur staunen kann.
Schon seit über zwei Jahren stehen die Maschinen still. Der Geruch von Mehl ist aber geblieben. Er weckt Bilder von einem erfüllten Leben auf dem Lande. Wenn es nur nicht so kalt wäre. Die Temperatur liegt bei kurz über Null. Krzysztof Lemański macht das aber nichts aus. Wenn er Touristen eineinhalb Stunden lang durch die ehemalige Mühle führt, die heute ein Museum ist, trägt er nicht einmal eine dicke Jacke. Auch keine Mütze, keinen Schal, keine Handschuhe. Er ist es eben gewöhnt. 24 Jahre lang war das hier seine Mühle, hier war er der Chef, und darum kennt er sie wie kein anderer. „Die schönsten Jahre meines Lebens habe ich hier verbracht“, sagt Lemański. In der besten Zeit hat die Mühle 280 Tonnen Mehl am Tag produziert. Als sie irgendwann aber nicht mehr genug Gewinne abwirft, muss Lemański sie schließen. Kein leichter Schritt. Doch mit dem Verkauf im Jahr 2016 eröffnet sich eine neue Chance.
Die „Stiftung für den Schutz des Industrieerbes in Schlesien“ („Fundacja Ochrony Dziedzictwa Przemysłowego Śląska“) kauft das Gebäude und macht daraus ein Museum, in dem Krzysztof Lemański von nun an die Führungen für die Touristen übernimmt. Damit bleibt ein wichtiges Industriedenkmal für die Nachwelt erhalten. „Industrie und Technik sind dafür verantwortlich, dass unsere Welt heute so aussieht wie sie aussieht. Für unsere Kinder und Enkel wollen wir dieses einzigartige Denkmal bewahren, damit sie verstehen können, wie sehr sich die Welt verändert hat, wie großartig der Mensch ist und was er im Stande ist zu leisten“, sagt Arkadiusz Förster, Marketing-Leiter der Stiftung. Über das neue kulturelle Angebot in der Stadt freuen sich auch Touristen und Schulklassen von Nah und Fern. „Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Besucher begeistert sind. Es ist eindrucksvoller Geschichtsunterricht“, sagt Krzysztof Lemański, der seiner neuen Aufgabe mit Leidenschaft nachgeht.
Im Jahr 1847 gründet der Unternehmer Carl Siegmund Hilbert die erste Dampfmühle in Schlesien und zugleich eine der ersten in ganz Europa. Sie entsteht ausgerechnet im niederschlesischen Langenbielau (Bielawa), dem Ort, wo 1844 der berühmte Aufstand der Weber stattfand, den Nobelpreisträger Gerhard Hauptmann in seinem literarischen Werk „Die Weber“ beschreibt. „Die Menschen zerstörten die Maschinen, weil sie Angst hatten, dass sie ohne Arbeit sein würden“, erklärt Krzysztof Lemański. Von solchen Übergriffen bleibt die Hilbertmühle verschont.1868 wird sie aus wirtschaftlichen Gründen von Langenbielau in die vier Kilometer entfernte Stadt Reichenbach im Eulengebirge (Dzierżnoniów) verlegt.
„Dank der Dampfmaschinen konnte man Mühlen an jedem beliebigen Ort erbauen. Man stellt sich heute noch vor, dass eine Mühle am Wasser steht, und dass das Wasser das Mühlrad antreibt. Doch durch die Dampfmaschinen war man unabhängig vom Wasserstand. Es bedeutete ein Loslösen von der Kraft der Natur“, sagt Lemański.
Noch zwei Generationen der Hilberts werden die Mühle betreiben, bis 1934 der letzte männliche Hilbert stirbt. Im Jahr 1935 wird die letzte große Modernisierung veranlasst. Seit dieser Zeit ist die Mühle fast unverändert geblieben und konserviert eine längst vergangene Zeit. Dass die Maschinen bis heute funktionieren, darauf ist Krzysztof Lemański besonders stolz. „Die Maschinen waren von sehr hoher Qualität, produziert von der Firma Miag, dem Mercedes unter den Mühlen-Produzenten.“ Auch die Familie Hilbert, da ist sich Krzysztof Lemański sicher, wäre darüber glücklich, dass ihre Mühle heute noch immer steht – betriebsbereit.
Vor und nach dem Krieg gehört die Hilbertmühle zu den größten Mühlen in ganz Europa. Zu deutschen Zeiten wird das Mehl nicht nur für die Umgebung produziert, sondern es geht nach ganz Deutschland und auch nach Skandinavien und Großbritannien. „Die Mühle hatte sehr viel Glück, sie hat zwei Weltkriege überlebt. Von 1945 bis 1951 war sie von der Roten Armee besetzt. 1951 wurde sie der polnischen Volksrepublik übergeben und bis 2016 hat sie unter polnischer Flagge gearbeitet. Sie ist bis heute die größte Mühle des Landes.“
Krzysztof Lemański blickt mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf das Schicksal der Hilbertmühle: „Auf der einen Seite ist es schade, dass die Produktion eingestellt wurde, auf der anderen Seite ist es gut, dass die Mühle in den 80er, 90er Jahren nicht modernisiert wurde und die Maschinen nicht auf dem Schrott gelandet sind – wir hätten viel verloren. Jetzt haben wir unser Museum.“
Marie Baumgarten