Grußwort
von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
für die deutschen Auslandsvertretungen
zum Tag der Deutschen Einheit 2019
Der 3. Oktober ist ein besonderer Feiertag: Er ist kein Nationalfeiertag, wie wir ihn aus unseren Nachbarländern kennen. Er markiert kein historisches Ereignis, wie der 17. Juni, der Tag des Aufstands 1953, der Mauerfall am 9. November 1989 oder der 11. August, den die Weimarer Republik 1919 als Verfassungstag zu ihrem Nationalfeiertag bestimmte.
Nach Abschluss aller Verhandlungen und Verträge war der 3. Oktober 1990 einfach der frühestmögliche Termin, zu dem die Deutschen, nach 29 Jahren Teilung, die Einheit ihres Landes wiederherstellen konnten. Ein schöner Moment und ein schöner Gedanke: Nach langer Trennung hatte man es eilig, wieder zusammenzufinden.
Auf das Außergewöhnliche dieses Tags der Deutschen Einheit, fällt in diesem Jahr noch einmal ein besonderes Licht. Wir haben gemeinsam mit unseren polnischen Nachbarn an den 1. September 1939 erinnert, – das verhängnisvollste Datum unserer Geschichte, den Beginn des Zweiten Weltkriegs, der mit dem deutschen Überfall auf Polen entfesselt wurde. Wir haben in Warschau erleben dürfen, worauf kein Deutscher zu Ende dieses Krieges hoffen konnte: die Bereitschaft zur Versöhnung und eine vertrauensvolle Nachbarschaft in einem geeinten Europa.
Eine wichtige, wenn nicht entscheidende Voraussetzung für die Rückkehr der Deutschen in die europäische Völkerfamilie war das Inkrafttreten des Grundgesetzes vor 70 Jahren, an das wir im Mai erinnert haben. Es war der Demokratie in unserem Land in diesen Jahrzehnten nicht nur ein verlässliches Fundament. Es ist uns auch heute Orientierung in einer Welt, die unsere liberalen Werte vielerorts infrage stellt und uns als Demokraten fordert – im Innern wie im Äußeren.
Dreißig Jahre liegt der Fall der Berliner Mauer in diesem November zurück und wir erinnern an die mutigen Menschen im Osten unseres Landes, die sich ihre Freiheit erkämpft und den Weg zur Demokratie geebnet haben. Das Gelingen dieser Friedlichen Revolution war und ist ein Glück für unser Land. Was erreicht wurde, ist uns Verpflichtung, die Demokratie gegen Anfeindungen zu verteidigen und sie zu bewahren.
Ich bin davon überzeugt, wir brauchen diesen Blick zurück. Wer sich daran erinnert, wie und warum die Demokratie in einem Teil unseres Landes erkämpft und im anderen mühsam erlernt werden musste, der gewinnt Orientierung aus diesem Rückblick auf die eigene Geschichte. Er erkennt die unterschiedlichen Wege, die Ost- und Westdeutsche gegangen sind, und begreift, dass es dennoch eine Geschichte, unsere Geschichte ist. Das Bild unseres Landes wird nur vollständig, wenn wir einander zuhören und verstehen wollen.
Ich habe das auf vielen Reisen im ganzen Land erleben können und ich habe Menschen kennengelernt, die zusammenkommen, diskutieren, und auch streiten über Wege in unserer Gesellschaft. Ich habe erlebt, dass sie Konflikte darüber nicht scheuen. Ich habe aber auch Respekt für den Anderen erleben dürfen und Achtung für Ansichten, die nicht die eigenen waren.
Demokratie ist bisweilen mühsam. Sie setzt auf Ausgleich und Kompromisse. Einfachere Antworten, schnellere Lösungen sind der vermeintlich bequemere Weg. Umso mehr freut es mich, dass ich so viele Menschen erlebe, die sich den schwereren, den demokratischen Weg zumuten.
Ich erlebe sie im Inland und im Ausland. Viele von Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger im Ausland, engagieren sich und leben die Werte unserer Gesellschaft vor, im Kleinen und im Großen, in Schulen, Unternehmen und Vereinen.
Ihnen auch persönlich zu begegnen ist mir ein Anliegen auf meinen Reisen. Ihre Erfahrungen und Ihr Engagement sind wertvoll – für Deutschland und für die Länder, die Sie Ihr Zuhause nennen. Dafür möchte ich Ihnen danken und Sie ermutigen an diesem 3. Oktober 2019.