Einen Blick auf die „Vergangenheit und Gegenwart der jüdischen Häuser zur Begräbnisvorbereitung“ in Polen wagte Krzysztof Bielawski am 23. November im Rahmen des Mendelsohn-Festivals der Kulturgemeinschaft „Borussia“ in Allenstein. Ort war das Mendelsohnhaus, aktueller Sitz der „Borussia“. Es ist das einzige noch erhaltene jüdische Haus der Begräbnisvorbereitung in der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren.
Es gibt kaum einen geeigneteren Ort, an dem jemand die Geschichte der „beth tahara“, der Häuser zur Waschung der Toten, erklären könnte, als dieses 1913 vom weltbekannten deutsch-jüdischen Architekten Erich Mendelsohn entworfene Gebäude in der heutigen ulica Zyndrama z Maszkowic. Der aus Allenstein stammende, damals junge Student in München, plante es als beth tahara für die jüdische Gemeinde in Allenstein, deren Vorsitzender sein Vater war.
Das Ritual der Waschungen…
Bereits das Titelbild des Vortrags von Krzysztof Bielawski von der Stiftung zum Schutz des jüdischen Erbes FODŻ zeigte, dass er nicht nur auf die Häuser der Waschung und ihre Geschichte, sondern auch auf die tahara, also die Waschung selbst, eingehen wollte. Es zeigte eine Gravur auf einer Spendenbüchse mit der Darstellung von Mitgliedern der „chewra kadisza“, der Bruderschaft der Totenwäscher, bei ihrer Arbeit. Neben anderen religiös vorgeschriebenen Waschungen bzw. Ablutionen muss nämlich auch der oder die jüdische Tote vor dem Begräbnis gereinigt werden. „Unter anderem werden der Intimbereich, aber auch die Augen mit Leinentuch abgedeckt. Nach dem Waschen wird der Körper senkrecht aufgerichtet und mit Wasser aus drei Eimern übergossen, danach mit spezieller Kleidung, sogenannter tachrichim, angezogen“, erklärte Krzysztof Bielawski. Außerdem werde der Körper auf der Stirn mit einer Mischung aus Wein oder Essig und Ei markiert. Das gesamte Verfahren wird auch heute noch angewendet, in Polen allerdings nur noch sehr selten.
Die Geschichte…
Es gibt bereits in mittelalterlichen Überlieferungen Hinweise auf Personen, die sich um die Friedhöfe kümmerten, Berichte über Gebäude zur Begräbnisvorbereitung hingegen kommen erst im 18. Jahrhundert auf. Das hat mit ersten gesetzlichen Hygiene-Vorschriften zu tun, aber auch mit dem zunehmenden Wohlstand mancher Gemeinden. Dabei sind die Gebäude regional unterschiedlich. Es gibt einfache Gebäude wie in Augustów, bei denen der Leichnam auf der einen Seite hinein- und auf der anderen Seite auf den Friedhof getragen wird, aber auch imponierende Bauwerke wie die „beth tahara“ in Gleiwitz/Gliwice oder auch jene in Allenstein. Hier sorgt eine heute noch sichtbare Dreiteilung in den Bereich der Waschung, den Vorbereitungsraum für den Rabbi und den Raum für die Totenfeier dafür, dass der Rabbi nicht mit der Leiche in Kontakt kommt, was ihm verboten ist.
Ein erster Verfall von Häusern zur Begräbnisvorbereitung fand bereits im 19. Jahrhundert statt, als die jüdischen Friedhöfe, wie alle anderen auch, aus den Ortschaften an den Stadtrand verlegt wurden. Bemerkenswert ist, dass in der Reichspogromnacht 1938 die Friedhöfe im Deutschen Reich kaum Schaden nahmen; dort hielten sich die Machthaber noch oft an bestehende Bestimmungen zur Achtung vor den Toten. „Die meiste Zerstörung gab es während des Zweiten Weltkriegs in den besetzten Gebieten Polens, etwa in Warschau oder 1944 in Krakau“, so Krzysztof Bielawski. Bis heute sind die regionalen Unterschiede an der Zahl der erhaltenen Gebäude zu erkennen.
…und die Erhaltung
Die Willkür der deutschen Machthaber bei der Behandlung der „beth tahara“ und der jüdischen Friedhöfe verdeutlichte er darüber hinaus am Beispiel Berlin: „Der Friedhof bei der früheren Synagoge wurde quasi komplett devastiert. Der in Weißensee hingegen ist eine der bis heute am besten erhaltenen Anlagen und nahm nur 1945 durch sowjetische Bomben Schaden.“
Auf polnischer Seite gab es direkt nach dem Krieg eine Phase der Plünderung der Friedhöfe durch die lokale Bevölkerung, insbesondere wegen der Steine, die für Bauten genutzt wurden. Die weitestgehende Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten führte dazu, dass niemand mehr für die Pflege der jüdischen Friedhöfe zuständig war. Im neuen polnischen Staat kam es daher, in Allenstein übrigens auch bei Friedhöfen anderer Konfessionen, zu Hinweisen auf ungepflegte Flächen, die Verbrechern Vorschub leisteten, woraus eine Strategie der Umwandlung der Friedhöfe in anders genutzte Flächen wie etwa Parks entstand.
Vom Ritual zur Erhaltung: Die bewegte Geschichte jüdischer Begräbnishäuser in Polen.
Ganz ohne Widerstand ließ sich diese aber auch nicht umsetzen. Als Beispiel dafür führte Krzysztof Bielawski den Auschwitz-Überlebenden Marian Smoliński an, der unter anderem Namen in Pezaßnitz/Przasnysz geboren wurde. Er zog nach dem Zweiten Weltkrieg nach Allenstein, kümmerte sich um den jüdischen Friedhof und bewohnte das Gärtnerhäuschen, das heute das Büro von „Borussia“ beherbergt. „Es wird gesagt, dass die Verwaltung der Stadt Allenstein es erst wagte, Hand an diesen Friedhof zu legen, als Marian Smoliński gestorben war“, berichtete Krzysztof Bielawski. Angesichts der sonstigen Haltung der Politik in solchen Fragen handelt es sich dabei wohl eher um eine urbane Legende, wenn auch um eine, die man sehr gerne glauben möchte. Denn immerhin ist das Mendelsohnhaus das einzige noch erhaltene „beth tahara“ in der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren.
Die Kulturgemeinschaft „Borussia“ bedankt sich für die finanzielle Unterstützung des Mendelsohn-Festivals beim Goethe-Institut in Warschau, der Selbstverwaltung der Woiwodschaft Ermland-Masuren und der Warschauer Dependance der Rosa-Luxemburg-Stiftung.