Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Hier gibt’s wirklich Regeln”

 

Die kleine Helena ist 8 Jahre alt und geht in die zweisprachige Montessori Grundschule in Raschau. Sie geht sehr gern in die Grundschule. So gern tatsächlich, dass sie letztens, sie war mit ihrer Mutter auf dem Rückweg nach Hause, zu ihrer Mutter Folgendes sagte: „Danke, Mama, dass Du mich für diese Schule angemeldet hast.“

 

Schuldirektorin Margarethe Wysdak erzählt die Geschichte von Helena mit einem zufriedenen Lächeln. „Früher hielten uns einige sogar für eine Sekte, weil sie nichts mit dem Montessori-Konzept anzufangen wussten.“

 

 

Erfolgreiche Jahre

Diese Zeiten sind heute allerdings vorbei. Für das Schuljahr 2021/2022 gingen so viele Bewerbungen ein wie noch nie, erzählt Margarethe Wysdak. Aus einem Umkreis von 30 Kilometern kommen die Eltern mit ihren Kinder in die Grundschule nach Raschau. Eine Grundschule, die 2009 eigentlich geschlossen werden sollte. Aber es kam anders. Margarethe Wysdak und ihr Team entschieden sich, eine ganz neue Schule, mit neuem Konzept, aus dem Boden zu stampfen: „Eine Schule, in der die Schüler ihre Persönlichkeit frei entwickeln können.“

Umfangreiche Renovierungsarbeiten folgten, auf die einstöckige Schule wurde ein zweiter Stock draufgesetzt. Die promovierte Pädagogin Wysdak, die zuvor als Pädagogik-Dozentin in der Lehrerausbildung einige Erfahrungen sammeln konnte, kam zu dem Schluss, dass „Montessori sehr viele pädagogische Kernpunkte trifft.“

Aus der deutsch-polnischen Grundschule wurde also auch zugleich eine Montessori-Grundschule. Mittlerweile gehen 100 Schüler auf die Grundschule in Raschau. 20 Lehrer unterrichten hier. Träger der Schule ist der Verein „Pro Liberis Silesiae“ – was Latein ist und übersetzt „für die Kinder Schlesiens“ heißt.

 

 

„Nicht jetzt, ich hab‘ 1000 Sachen im Kopf“

Um das pädagogische Konzept ihrer Schule zu veranschaulichen, verweist Schuldirektorin Wysdak auf die Zahlenlehre. Denn hier in Raschau bekommen die Kinder die Zahlen nicht nur dem Papier nähergebracht, sondern ganz konkret zum Anfassen: Mit einer einzelnen Perle fängt es an. Die wird zu einer Zehnerperle, die zu einer Hunderter und die wiederum zu einer Tausender Perlenkette. „Die Kinder legen die 1000er-Perlenkette dann auf dem Schulflur aus, um zu verstehen, wieviel 1000 sind.“

Als eine Mutter ihrem Sohn nachmittags dann erzählte, sie habe 1000 Sachen im Kopf, überlegte der kurz, dachte an die lange Perlenkette im Schulflur und sagte: „Mama, tausend Dinge darfst du nicht im Kopf haben – das ist zu viel.“

 

 

Rahmen und Regeln

Anders als viele denken, gebe es im Montessori-Konzept auch klare Grenzen für die Kinder, so Margarethe Wysdak: „Hier gibt’s wirklich Regeln. Es ist eine Freiheit, die die Kinder haben in einem bestimmten Rahmen, der für sie geschaffen wird, damit sie sich entwickeln können. Aber Montessori heißt nicht ohne Regeln und ohne Rahmen.“

 

Mathematik zum Anfassen in der Montessori Grundschule in Raschau
Foto; Leon Schwarzenberg

Eine Welt ohne Masken?

Was Margarethe Wysdak zurzeit Sorge bereitet, ist der fehlende soziale Kontakt, der den Kindern aufgrund der Corona-Situation verwehrt bleibe. Bis Weihnachten sei die Motivation der Kinder noch groß gewesen, „auch durch die Bildschirme hinweg“, so die Schuldirektorin. Aber mittlerweile gebe es auch schon Kinder, die ihre Eltern fragten, ob es früher eine Welt ohne Masken gegeben habe: „Die Kinder leben sehr viel mehr im Jetzt als wir.“
Den Kindern fehle jetzt vor allem der menschliche Kontakt, der alltägliche, direkte Austausch mit Gleichaltrigen. Einige Kinder würden sogar depressiv in dieser Zeit.

Schuldirektorin Margarethe Wysdak ist mir ihren Sorgen um die Kinder nicht allein. Auch „Deutschlandfunk Kultur“ fragte im Februar dieses Jahres: „Versinkt eine Generation in Depression?“ Die Wissenschaftszeitung „Geo“ schrieb parallel: „Fast jedes dritte Kind zeigt ein knappes Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland psychische Auffälligkeiten.“

„Wissen kann man immer nachholen“, sagt Margarethe Wysdak, „aber die menschlichen Kontakte – das fehlt. Und ich glaube, das wird beträchtliche Schäden haben auf die Psyche der Kinder.“

 

 

Trotz allem – Hoffnung

„Was bleibt, ist die Hoffnung“, sagt die Schuldirektorin und verweist auf das Projekt „Spielstadt“, das bisher auch trotz Corona geplant sei.
Aktuell wünscht sich Schuldirektorin Margarethe Wysdak außerdem für ihre Schule noch eine dritte deutschsprachige Partnerschule. Zwei gibt es bereits. Die eine ist in Halle, die andere in Bautzen. „Jetzt wünschen wir uns noch eine deutschsprachige Partnerschule für den Gymnasialbereich, die der 6., 7. und 8. Klasse entsprechen könnte.“

 

Leon Schwarzenberg

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