Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Höre du blinder Mensch – Auf Böhmes Spuren

Anlässlich des Jacob-Böhme-Jubiläumsjahrs sind in der Zwillingsstadt Görlitz/Zgorzelec 2024 und 2025 zahlreiche Veranstaltungen in Vorbereitung. Hegel bezeichnete den in Alt Seidenberg (Zawidów) geborenen Mystiker und Theosophen Böhme als den ersten deutschen Philosophen, weil er als erster seine philosophischen Gedanken in Deutsch, und nicht wie andere bislang, in Latein verfasste.

Schlendert man am polnischen Neißeufer in Ost-Görlitz (Zgorzelec) entlang, kommt man unweigerlich am Jacob-Böhme-Haus vorbei. Schon allein der rosa Anstrich und die Böhme-Büste an der Hausfassade stechen ins Auge. In diesem Haus tauschte der gelernte Schuhmacher Jacob Böhme (1575-1624) seine Leisten gegen die Schreibfeder aus. Des Weiteren wird Böhme auf polnischer Seite mit einem Denkmal in Form eines offenen Buches geehrt, auf dem ein Paar Stiefel stehen. Es gibt auch einen Kreisel, der hier nach ihm benannt ist. Trotzdem sei den polnischen Einwohnern das Wissen um den deutschen Philosophen nur marginal bekannt, so Piotr Arcimowicz, Leiter des Lausitzmuseums, das gleich neben dem Böhme-Haus, was auch vom Lausitzmuseum betreut wird, angesiedelt ist. „Böhme-Forschungen gibt es bei uns erst seit den Neunzigerjahren, als sich der (A. d. R.: polnische) Jacob-Böhme-Verein gründete“, sagt er. „Damals hatte es einen Böhme-Diskurs in unserer Stadtgesellschaft gegeben. Doch mit der Auflösung des Böhme-Vereins ebbte der Diskurs ab. Wir vom Museum pflegen Kontakte zu Wissenschaftlern, die Böhme erforschen, aber es ist sehr hermetisch. Böhme ist eher unbekannt, selbst unter Menschen, die sich sonst mit Philosophie befassen“, sagt er. Auch würde man in den polnischen Schulen kaum etwas über Böhme lernen, denn „das Thema Böhme ist eine schwere Materie, die sich nicht leicht ins Schulprogramm integrieren lässt“, bedauert er.

Mangelndes Wissen um Böhme

Dr. Łukasz Tekiela, Museumsleiter in Lauban (Lubań), findet noch weitere Gründe für das mangelnde Wissen um Böhme auf polnischer Seite der Neiße: „Die regionale Identität ist bei uns noch nicht ausgereift. Wir sind erst relativ kurz hier und können noch nicht aus der immer noch fremden historischen Tradition schöpfen und das Beste, was sie zu bieten hat, in unsere noch junge Identität adaptieren. Wir sind immer noch dabei, unsere eigene Identität zu bauen. Auch die Identität unserer Leader und Kulturschaffenden ist noch nicht stark genug, um Themen wie die Gedankenwelt Böhmes zu behandeln“, sagt Tekiela.

Böhmes bildhafte, barocke Sprache schafft Zugang zu den Herzen, so Ideenfluss-Chefin Birgit Beltle (links). Hier im Gespräch mit Dr. Magdalena Gebala und Agnieszka Bormann. Foto: K. Kandzia

Dieses und nächstes Jahr wird in mehr als 60 Veranstaltungen auf beiden Seiten der Neiße an Jacob Böhme erinnert. Der Grund dafür sind das 400. Todesjahr des Philosophen, Mystiker und Theosophen (1575-1624) in diesem Jahr und der 400. Geburtstag in 2025. Arcimowicz und Tekiela sind mit ihren Institutionen Partner und Unterstützer der Aktion. Unter dem Motto „Auf Böhmes Spuren“ möchten polnische und deutsche Böhme-Fans, -Vereine und -Initiativen das Leben und Wirken Böhmes einer breiten Öffentlichkeit nahebringen. Den organisatorischen Hut hat dabei Birgit Beltle vom Ideenfluss e.V. aus dem deutschen Teil der Stadt auf. „Wir möchten die Aktualität Böhmes in unseren Vorträgen und Ausstellungen sichtbar machen, zeigen, dass er uns heute noch etwas zu sagen hat, obwohl er vor 400 Jahren gestorben ist. Hatte er doch viele Künstler, Dichter und Denker wie Goethe oder Adam Mickiewicz beeinflusst“, teilte sie am 14. März bei einer Auftaktpressekonferenz zum Jubiläumsjahr mit. „Wir werden auch ganz unerwartet Böhmes Texte an Hauswänden oder im Internet sichtbar machen, damit man versteht, dass es eine sehr schöne, bildhafte, barocke Sprache ist, die den Zugang zum Herzen finden kann, wenn es ausgesuchte Sätze sind“, sagt sie.

Böhme für alle?

Hör-Installation des Jacob-Böhme-Bundes in der Görlitzer Nikolaikirche
Foto: jacob-boehme.org

Unter den über 60 Veranstaltungen sticht eine besonders hervor. In der Vortragsreihe „Böhme für alle“, werden von September bis April 2025 zwölf Kenner der Schriften Jacob Böhmes den Versuch starten, seine Gedankenwelt so klar wie möglich allen zu vermitteln. Ein wagemutiges Unterfangen, sagt der Laubaner Tekiela. „Böhme wird durch eine akademische Sichtweise vereinnahmt, die die Quintessenz seiner Gedankenwelt verkopft“, bemängelt Tekiela. Das Beste in Böhmes Philosophie sei sein tiefer Optimismus und „wenn man darüber sprechen möchte, müsste man die Menschen evangelisieren. Dies wäre ein gigantisches Risiko, denn Böhmes Gedanken sind konträr zu der ‚einzig richtigen Strömung‘ in der Wahrnehmung Gottes und seiner Beziehung zum Menschen“, so Tekiela, der hier die katholische Dominanz in Polen anspricht. „In der Konsequenz könnte es zum gleichen Konflikt kommen, den Böhme zu Lebzeiten mit dem Görlitzer Pastor hatte“, so der Chef des Laubaner Museums.

Ähnlich sieht es Klaus Weingarten vom deutschen Jacob-Böhme-Bund. „Der Mensch ist viel weiter von Böhme entfernt, als er es vor 400 Jahren war. Ich glaube, dass der Gedanke, Böhme allen präsentieren zu können, völlig unmöglich ist. Es gibt nur ganz wenige, die dafür aufnahmebereit sind“, so Weingarten, der 2015 den Film „Morgenröte im Aufgang – Hommage an Jacob Böhme“ schuf, in dem er ausschließlich die 400 Jahre alten Originaltexte Jacob Böhmes verwendete.

Polnische und deutsche Böhme-Vereine präsentieren ihn einer breiten Öffentlichkeit.

Ideenfluss-Chefin Birgit Beltle ist jedoch guter Dinge. Sie hat mit Freunden in Görlitz einen Philosophiekreis gegründet und lässt seit vielen Jahren „im Bahnhof Jacob Böhme fußläufig in die Menschen hineinwirken“, wie sie sich ausdrückt. Das Angebot, sich auf Jacob Böhmes Spuren zu begeben, sei breit gefächert, versichert sie. Neben einer Hör-Installation „Höre du blinder Mensch”, die bis November in der Görlitzer Nikolaikirche gezeigt wird, einem Kolloquium zum Spätwerk Böhmes „Mysterium Magnum“ am 8. und 9. November, der Aufführung einer Auftragskomposition der Internationalen Böhme-Gesellschaft mit dem Titel „… wohlgestimmte gebärende Harmoney – Annäherung an Jacob Böhme“ am 21. September, einer Reihe von Rock-Konzerten im Sommer, stehen auch Veranstaltungen für Jugendliche und Kinder auf beiden Seiten der Neiße auf dem Programm. Eine Internetseite rund um Jacob Böhme und das Gedenkjahr 2024 informiert auf www.kulturerbeforum.de.

Show More