Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Konfessionsübergreifende Ostertradition

 

 

Ob das Ostritzer Saatreiten nun eine Variation des Osterreitens darstellt, darüber mögen Historiker streiten. Die Besonderheit in dieser einst katholischen Enklave in Nähe des Klosters St. Marienthal in der niederschlesischen Oberlausitz ist jedoch eine junge Tradition. Hier reiten katholische und protestantische Geistliche gemeinsam.

 

Das Ostritzer Saatreiten führt über Feld und Flur. Foto: Klaus-Dieter Fabisch

 

Seit fast zehn Jahren ist Thomas Schädlich evangelischer Pfarrer in Ostritz. Kaum war der heute 38-jährige, aus Hainichen im Landkreis Mittelsachsen stammende Geistliche, an der Neiße angekommen, wurde ihm vermittelt, dass man hier ohne zu reiten nicht wirklich dazugehöre. Denn das Saatreiten in Ostritz am Ostersonntag ist seit 1628 im Ort belegt. „Dadurch bin ich zum Reiten gekommen und habe Reitunterricht genommen. Beim ersten Saatreiten bin ich noch geführt worden und dann sagte ich mir, nee, das geht so nicht, du musst das allein hinbekommen“, erinnert er sich.

Doch die Beteiligung des evangelischen Amtsinhabers ist ohnehin – wenn man dies schon so nennen mag – erst eine 20 Jahre währende Tradition in der nun mindestens 390-jährigen Geschichte des Saatreitens. „Ich glaube, es lag damals an der guten Beziehung zwischen dem katholischen Priester und dem evangelisch-lutherischen Ortspfarrer Matthias Mory. Die beiden haben zusammengesessen und sich gesagt: Wir haben den gleichen Glauben und ohnehin sind viele mit der Tradition im Ort aufgewachsene Saatreiter heute bereits evangelisch“, sagt Thomas Schädlich. Da habe der letzte Schritt nahegelegen, den evangelischen Pfarrer auch ganz offiziell zu beteiligen.

 

 

Durchs Saatreiten zu Ökumene

 

Gerhard Brendler, der zum 380. Jubiläum des Saatreitens dessen Geschichte umfassend in einem Jubiläumsband darlegte, vermutet im Ostritzer Saatreiten aufgrund des frühen Verschwindens der slawischen Kultur hier eine alte fränkische Tradition der früheren deutschen Siedler – erwiesen ist dies jedoch nicht. Im Kern unterscheidet sich das Saatreiten nur im Namen vom sorbischen und vom oberschlesischen Osterreiten um Ratibor (Racibórz), denn hier wie dort bittet man Gott um seinen Segen für die Flur und die Ernte, singt die Osterevangelien und verkündet die Osterbotschaft.

Das war nicht immer so. Klaus-Dieter Fabisch, der die Touristeninformation am Marktplatz betreut, betont, dass es in der Vorkriegszeit noch kaum ein Verständnis von einer Ökumene gegeben habe. „Für konfessionsübergreifende Ehen gab es auch in Ostritz keine Möglichkeit. Die Leute sind damals ins Böhmische gegangen, um gemischt zu heiraten“, sagt er. Für den 64-jährigen Fabisch war das Saatreiten immer präsent. Bereits als Kind lief er mit und hat mit 16 Jahren dann erstmals selbst auf dem Pferd gesessen. „Am Anfang musste man sich alles borgen: Zylinder, Sattel, später hat man sich das angeschafft, was in der DDR nicht einfach war“, betont er. Zu DDR-Zeiten hätten durch die gemeinsamen Erfahrungen der Bedrängnis der Gläubigen die konfessionellen Unterschiede an Bedeutung verloren. Im Grunde habe man nicht einmal mehr gefragt, wer evangelisch und wer katholisch war. Dabei sei die etwa zu einem Drittel protestantische Bevölkerung, die im Zuge der Industrialisierung meist aus Böhmen gekommen war, einst schon daran erkennbar gewesen, dass sie in ihrem eigenen Viertel – der „Kolonie“ – gelebt habe. „Immerhin reiten die katholischen Geistlichen heute nach wie vor voran“, sagt Pfarrer Thomas Schädlich eher beiläufig, auch mit Blick auf das unterwegs gesungene und gebetete Ave Maria, das selbstredend für den Katholizismus steht.

„Ich weiß nicht, ob es jetzt an dem Saatreiten liegt, aber die Ökumene funktioniert seit einigen Jahren immer besser. Die Not hat uns zusammengeführt. Der Niedergang des Glaubens in Europa, das betrifft leider auch Ostritz“, fasst Thomas Schädlich die heutige Situation zusammen.

 

Thomas Schädlich hoch zu Ross. Der evangelische Pfarrer reitet hier gemeinsam mit katholischen Glaubensbrüdern an seiner Gustav-Adolf-Kirche vorbei.
Foto: Klaus-Dieter Fabisch

 

Bewahrer der Tradition

 

Einen weiteren Unterschied zum Osterreiten gäbe es noch, sagt er. Den, „dass wir die Osterbotschaft nicht in ein anderes Dorf bringen. Beim Osterreiten sind die Reiter von einem Dorf ins nächste und zurück unterwegs. Wir reiten nur um Ostritz herum.“ Aber auch das ist in dieser Form erst eine Folge der jüngeren Geschichte. Das Saatreiten führte nämlich bis 1944 am östlichen Neißeufer auch vorbei an Grunau (Krzewina Zgorzelecka) sowie durch Blumberg (Bratków) und Rusdorf (Posada). Den Verlust an Wegstrecke hat man übrigens am Westufer durch einen längeren Bogen an der Südflanke kompensiert. Ostritz ist heute gar das letzte Relikt des Saatreitens, denn auch in Königshain (Działoszyn) und Seitendorf (Zatonie) gab es diese Tradition bis zur Vertreibung der Deutschen. Auch um Schluckenau (Sluknov) in Nordböhmen fand eine vergleichbare Tradition 1945 ihr Ende.

„Östlich der Neiße fehlt es heute an Menschen, die in dieser Tradition aufgewachsen sind – und übrigens auch an Pferden“, konstatiert Klaus-Dieter Fabisch. Pfarrer Thomas Schädlich ergänzt: „Es gibt heute so vier, fünf polnische Reiter bei uns. Ich könnte mir aber vorstellen, dass wir hier an der Neiße eine gemeinsame Tradition entstehen lassen könnten.“ Allerdings müsste man den mitreitenden Polen zunächst alles besorgen, stellt Klaus Dieter Fabisch fest, dem auch auffällt, dass der Schmuck ihrer Pferde betont die polnische Herkunft zeigt und damit letztlich kein Aufgreifen alter Traditionen bedeutet. Das Zeichen „Wir gehören auch dazu“ sei aber verständlich.

Einer Rückkehr zum Ostritzer Ritt über die Neiße stehen aber auch rein praktisch zwei Dinge entgegen. Die 1945 gesprengte Neißebrücke beim Kloster ist bis heute nicht wieder aufgebaut. Zum anderen benötige man für jedes Tier, das man über die Grenze bringt, einen Gesundheitspass vom Tierarzt. In jüngster Vergangenheit hätte dies zum Beispiel gleich 80 Tiere betroffen!

 

 

Prozession im Klosterhof St. Marienthal

 

Übrigens ist das Saatreiten zu Lebzeiten von Klaus-Dieter Fabisch nur einmal verschoben worden. „Anfang der Siebzigerjahre gab es zehn Zentimeter Schnee. Da ging es einfach nicht. 14 Tage später wurde es nachgeholt“, erinnert er sich. Sollte das Wetter in diesem Jahr keine Kapriolen schlagen und die Corona-Epidemie, so Gott will, nicht mehr im Wege stehen, beginnt die Saatreiterprozession am Ostersonntag, dem 12. April, um 13 Uhr, bei der katholischen Kirche. Dazu gehören der anschließende Marktplatz-Umritt und das Eintreffen der Saatreiterprozession im Klosterhof vom Kloster St. Marienthal. Nach dreimaligem Umreiten des Klosterhofes werden die Reiter von der Äbtissin und dem Rektor begrüßt und die Osterbotschaft wird verkündet. Nach Verlassen des Klosters führt der Ritt zu den Ostritzer Feldern und Fluren, wo der Saat der Ostersegen erteilt wird. „Es gibt fünf verschiedene Stationen, es sind Wegekreuze, an denen gehalten wird. Dort wird das Osterevangelium gesungen, das Matthäusevangelium zweimal, denn wir haben ja nur vier Evangelien“, sagt der evangelische Pfarrer. Den Abschluss findet der 15 Kilometer lange Ritt gegen 16 Uhr wieder auf dem Marktplatz.
„Ich weiß nicht, was der Geist Gottes in den Einzelnen so bewirkt, aber es ist heute natürlich auch ein Volksfest. Wenn man aber die Osterbotschaft hört, kann es trotzdem sein, dass man zu den tieferen Sinnfragen kommt“, denkt Pfr. Thomas Schädlich. Auch Klaus-Dieter Fabisch ist es wichtig, dass das Ganze nicht zu einem Rummel ausartet. Es habe vor einigen Jahren Bestrebungen gegeben, den Tag zu kommerzialisieren, dies sei glücklicherweise gescheitert. Und in diesem Jahr kann alles noch ganz anders werden, Gottes Wege sind nämlich unergründlich.

 

Till Scholtz-Knobloch

Hervorhebung:
Pfr. Thomas Schädlich:
Ich weiß nicht, ob es am Saatreiten liegt, aber die Ökumene funktioniert seit einigen Jahren immer besser. Die Not hat uns zusammengeführt.

Foto1:
Thomas Schädlich hoch zu Ross. Der evangelische Pfarrer reitet hier gemeinsam mit katholischen Glaubensbrüdern an seiner Gustav-Adolf-Kirche vorbei.
Foto: Klaus-Dieter Fabisch

Foto2:

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