Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Kontinuität oder Neustart?

Vor dem Hintergrund des sich anbahnenden Regierungswechsels in Deutschland veranstaltete die in Berlin ansässige Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) eine Onlinediskussion zum Thema „Deutsch-Polnische Beziehungen nach der Bundestagswahl: Zeit für einen Neustart?“. Während des Austauschs betonten die Referenten, dass sie zwar keine großen Veränderungen in den bilateralen Beziehungen erwarten, in einigen Politikbereichen aber durchaus Konfliktpotenzial herrsche.

Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Markus Meckel, Vorsitzender des Gesprächskreises Polen bei der DGAP und im Jahr 1990 kurzzeitiger Außenminister der Deutschen Demokratischen Republik.Als Referenten zugeschaltet waren Dr. Monika Sus, Assistenzprofessorin an der Polnischen Akademie der Wissenschaften,Paweł Lisicki,Chefredakteur der Wochenzeitung „Do Rzeczy“, sowie Rolf Nikel,DGAP-Vizepräsident und von 2014 bis 2020 deutscher Botschafter in Polen.

 

Monika Susa, Paweł Lisicki (oben rechts), Markus Meckel (unten links) und Rolf Nikel.
Foto: Lucas Netter

 

Monika Sus erwartet in der kommenden Legislaturperiode keinen großen Wandel in der Politik der neuen Bundesregierung gegenüber Polen.Es sei zwar davon auszugehen, dass vereinzelt neue Akzente gesetzt werden, zum Beispiel hinsichtlich der Frage der Rechtsstaatlichkeit; „revolutionäre“ Veränderungen seien aber unwahrscheinlich. Auch in Zukunft würden in den bilateralen Beziehungen das historische Erbe beziehungsweise die Geschichte zwischen den beiden Ländern sowie wirtschaftlicheInterdependenzen eine wichtige Rolle spielen. Mit dem Abtritt von Angela Merkel, die Polen oft ein – in ihrer persönlichen Prägung begründetes – tieferes Verständnis entgegenbrachte, werde die hohe Priorisierung der deutsch-polnischen Beziehungen in der deutschen Außenpolitik allerdings nicht mehr so selbstverständlich sein. Auch im Kontext der Europäischen Union (EU) geht Monika Sus von einem zukünftig pragmatischeren Auftreten der neuen Bundesregierung gegenüber Polen aus – und rechnet damit, dass das spezifisch deutsch-polnische Verhältnisangesichts der geopolitischen, strategischen und wirtschaftlichen Herausforderungen Europas in den Hintergrund treten werde.

Nach Paweł Lisickis Einschätzung habe sich die CDUunter Angela Merkel in den letzten 16 Jahren politisch weit nach linksbewegt. Diese „Wandlung“beeinflusse auch die deutsch-polnischen Beziehungen und fördere Konflikte, vor allem in den Bereichen des Verständnisses der Rolle der EU, der Migrationspolitiksowiedes Klimaschutzes.Dennoch erwartet auch Paweł Lisicki „keine drastischen Veränderungen“ in den bilateralen Beziehungen. Gleichzeitig äußerte er aber die Befürchtung, dass eine sogenannte Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen zu einer Verschärfung der Spannungen mit Polen führen könnte. „Denn dann würde Angela Merkels besonnene Herangehensweise durch eine eher ideologische Einstellung ersetzt – was die Schwierigkeiten in den deutsch-polnischen Beziehungen noch verstärken würde“, so der Journalist.

Rolf Nikel betonte in seinem Kurzreferat zunächst, dass auch die neue Bundesregierung die Aussöhnung mit Polen nach dem Zweiten Weltkrieg weiter fortsetzen werde. Darüber hinaus hätten sich die deutsch-polnischen Beziehungen in den letzten 30 Jahren „in einer Art und Weise positiv entwickelt, wie dies niemand im Jahre 1989/90 vorhergesehen hat. Die im engeren Sinne bilateralen Beziehungen sind heute besser, als die Medien auf beiden Seiten der Oder nahelegen“, sagteNikel. Auch er erwartet in Zukunft Kontinuität im deutsch-polnischen Verhältnis – wenngleich die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 eine große Belastung darstelle. Die größten Problembereiche liegen für den Diplomatenjedoch eher in den Beziehungen Polens zur EU. Es gehe hierbei nicht nur um die Rechtsstaatlichkeit, sondern auch um die Migration und das generelle Verständnis des Charakters der EU:„Salopp ausgedrückt, geht es Polen um ein Europa der Vaterländer mit Brüsseler Geld“, so Nikel. Warschau bestehe auf Souveränität und wolle die Integration in manchen Bereichen sogar zurückdrehen.Im Blick auf das kürzlich von SPD, FDP und Grünen veröffentliche Sondierungspapier und dem daraus hervorgehenden „Anspruch einer Fortschritts- und Modernisierungskoalition“ sieht Nikel – ähnlich wie Paweł Lisicki– viele Punkte gegensätzlich zur polnischen Politik, etwa in Fragen zur Rechtsstaatlichkeit oder Klimaschutzpolitik. Hier sei von einer neuen Bundesregierung eine „härtere Handschrift“ gegenüber Polen zu erwarten.

Auch auf die Entfaltungsmöglichkeiten der deutschen Minderheit in Polen und der polnischstämmigen Bevölkerung in Deutschland ging Nikel kurz ein. In diesem Bereich seien wünschenswerte Veränderungen möglich, ein Minderheitenstatus für die Polonia in Deutschland sei aber ausgeschlossen.

ln

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