Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Koschneider und Koschneiderei. Erinnern an Menschen und Orte

Seit mindestens einem Jahrzehnt gibt es ein wachsendes Interesse an den Koschneidern und der Koschneiderei, sowohl von polnischer als auch von deutscher Seite. Viele Informationen über diese Gruppe sind im Internet und in zahlreichen Publikationen zu finden. Immer öfter werden die Koschneider und ihre Geschichte von Historikern, Ethnologen und eben auch von Soziologen (neu) untersucht. Tagungen und Symposien werden ihnen gewidmet. Immer mehr Menschen, die auch ihre familiären Wurzeln entdecken, sind von der einzigartigen Geschichte dieser Gemeinschaft und dieses Landes fasziniert. Wer genau waren die Koschneider und wo haben sie gelebt?

 

Sie waren eine deutsche Volksgruppe, meist römisch-katholischen Glaubens, die zwischen 1434 und 1945 im Grenzgebiet von Danzig-Pommern (Pommerellen) und Großpolen lebte, genauer gesagt im Gebiet zwischen Konitz (Chojnice), Tuchel (Tuchola) und Kamin (Kamień Krajeński). Sie sind hauptsächlich Nachkommen deutscher Bauern, die der Deutsche Orden im 15. und 16. Jahrhundert vor allem aus dem niedersächsischen Osnabrücker Land herbeiholte. Die Ansiedlung dieser Bevölkerung fand zunächst in sechs Dörfern westlich von Tuchel statt: Deutsch Cekzin (Ciechocin), Lichnau (Lichnowy), Osterwick (Ostrowite), Petzin (Piastoszyn), Frankenhagen (Silno) und Schlagenthin (Sławęcin). Das Hauptzentrum der Koschneiderei wurde bald Osterwick. Der Ursprung der Bezeichnung Koschneider ist bis heute nicht geklärt, es wird jedoch vermutet, dass sie vom Namen einen Beamten des Kreises Tuchel (Koschnewski, Kossniewski, Kośniewski), der das Gebiet ab 1484 verwaltete, abgeleitet ist. Daraus entstand die Bezeichnung Koschnäwjer, Koschnäwen und später Koschneider – „Koschnewskis Leute“. Andere Quellen besagen, dass die Bezeichnung Koschneider den Neuankömmlingen von der alteingesessenen pommerellischen Bevölkerung gegeben wurde, dies in Anlehnung an ihre tägliche Arbeit auf dem Land – das Mähen (poln. koszenie).

 

 

Unter Polen und Deutschen

Das Territorium der Koschneiderei gehörte in verschiedenen Perioden zu verschiedenen administrativ-staatlichen Organismen: Bis 1308 war es Teil des Herzogtums Pommern, zwischen 1308 und 1466 gehörte das Land zum Deutschordensstaat, von 1466 bis 1772 zum Königreich Polen und von 1772 bis 1920 zu Preußen. Zwischen 1920 und 1939 lag die Koschneiderei innerhalb der Grenzen des polnischen Staates, in der Woiwodschaft Pommern; zwischen 1939 und 1945 wurde sie in das Dritte Reich eingegliedert und seit 1945 befindet sie sich wieder innerhalb der polnischen Grenzen.

Die Koschneider bewahrten dank ihres Lebens auf einem dicht umgrenztenTerritorium viele Jahrhunderte lang ihre ethnische und kulturelle Eigenart, obwohl sie bald nach ihrer Ansiedlung infolge des Friedensvertrags von Thorn, der nach dem sogenannten Dreizehnjährigen Krieg 1466 geschlossen wurde, über drei Jahrhunderte lang unter polnischer Herrschaft standen. Als einheimische Volksgruppe unterschieden sie sich sowohl von den Polen als auch von den Deutschen, die im Rahmen der deutschen Kolonisation nach Pommerellen geholt wurden. Die Koschneider waren mit den Polen durch ihre römisch-katholische Religion verbunden, unterschieden sich aber durch die deutsche Sprache und Bräuche. Mit den deutschen Siedlern waren sie nur teilweise durch ihre Sprache verbunden (sie sprachen einen Dialekt des Niederdeutschen, die süd-hinterpommersche Mundart), und ihre Religion war anders. Die Mehrheit der pommerschen Deutschen war nämlich evangelisch. Die jahrhundertelange Nachbarschaft führte zur gegenseitigen Durchdringung beider Kulturen und Nationen, zu Mischehen, zu polnisch- koschneiderischen und kaschubisch-koschneiderischen Ehen und zur teilweisen Assimilation der nachfolgenden Generationen der Koschneider.

 

Das Einzugsgebiet der Koschneider
Foto: Rink, Joseph: Die Orts-und Flurnamen der Koschneiderei in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens, 12, Danzig 1926

 

Beitrag zur Entwicklung der Region

Die Anwesenheit der Koschneider in der Region hatte einen sehr positiven Einfluss auf deren zivilisatorische Entwicklung. Die meisten von ihnen waren in der Landwirtschaft tätig und entwickelten neue Methoden der Landbewirtschaftung. Sie waren Pioniere im Bau von Wasser- und Windmühlen in der Gegend, im Flachsanbau und in der Spinnerei, im Gartenbau und in der Milchwirtschaft, im Backen, Brauen und in der Brennerei. Die Koschneider entwickelten das Handwerk auf hohem Niveau, sie beschäftigten sich mit Schmiedekunst, Schreinerei, Schneiderei und Fischerei. Sie besaßen Töpferwerkstätten, Ziegeleien und kleine Hausmanufakturen, zum Beispiel für Schuhe und hölzerne Küchenutensilien. Infolge der intensiven Landwirtschaft besiedelten sie bis 1905 19 Dörfer und Weiler mit 8.892 Einwohnern.
Die Koschneider legten großen Wert auf kulturelle Entfaltung, sie kümmerten sich um die Bildung von Kindern und Jugendlichen und schickten sie auf Schulen in der Region, vor allem auf eine von Jesuiten geführte höhere Schule in Konitz (1623-1773). Später, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, besuchten die Kinder der Koschneider auch das Gymnasium in Culm (Chełmno) sowie die Lehrerseminare in Graudenz (Grudziądz), Tuchel (Tuchola) und Berent (Kościerzyna).

 

 

Opfer des Kulturkampfes

Die Koschneider bildeten eine spezifische Volksgruppe und eine Ausnahme von der Regel, nach der im 19. Jahrhundert das religiöse Kriterium als Synonym des nationalen Kriteriums betrachtet wurde, denn sie waren zu etwa 80 Prozent katholisch. Sie durchbrachen somit das Klischee „polnisch gleich katholisch, deutsch gleich evangelisch“. Daher bekamen sie die Auswirkungen der preußischen Kulturkampfpolitik, insbesondere die Säkularisierung der Klöster und die Einschränkung der Ausbildung des katholischen Klerus, schmerzlich zu spüren. Um ihre Rechte zu verteidigen, gründeten sie am 6. November 1872 den „Katholischen Volksverein für die Koschneiderei und Umgebung“ mit Sitz in Osterwick. Eine Symbolfigur für die Koschneider – und für die Kaschuben – war in der Zeit des Kulturkampfes der in Abrau (Oborowo) geborene Bischof Augustinus Rosentreter aus Culm (* 13.1.1844, † 4.10.1926), der die Polen in ihren Bemühungen um die Bewahrung ihrer Sprache und Kultur unterstützte.

Nach 1920, als das gesamte Gebiet der Koschneiderei Teil von Polen wurde, blieben die Koschneider vor Ort. Sie wurden von ihrem Umfeld mit dem Rest der Pommerndeutschen identifiziert. Während der Nazi-Besetzung wurden sie beschuldigt, die Nazis zu unterstützen, obwohl viele von ihnen den Dienst in der Wehrmacht verweigerten und in der polnischen Heimatarmee dienten.

Die Existenz der Koschneider in Pommerellen als geschlossene Gruppe endete mit dem Jahr 1945 und der Nachkriegsaussiedlung der Koschneider nach Deutschland. Heutzutage gibt es nur noch wenige Nachkommen und Menschen, die sich mit dieser Gruppe identifizieren. Mehrere Personen sind Angehörige der nach 1989 gegründeten Organisation der deutschen Minderheit in Konitz. Es gibt auch materielle Spuren der Anwesenheit der Koschneider, z. B. eine gotische Kirche in Osterwick, ein Koschneider-Bauernhaus in Frankenhagen und Friedhöfe, z. B. in den Dörfern Lichnau, Deutsch Cekzin, Osterwick, Obkas (Obkas), Mosnitz (Moszczenica) und Schlagenthin.
Aus einer Koschneider-Familie stammten u. a. Dr. Joseph Rink, Historiker und Autor von Werken über die Koschneiderei, Prof. Paul Panske, Theologe und Heimatforscher aus Pommern und Prof. Johann Schweminski, Lehrer am Gymnasium der Heiligen Maria Magdalena in Posen.

Magdalena Lemańczyk

 

 

Über die Autorin: Magdalena Lemańczyk, Soziologin, Assistenzprofessorin in der Forschungsanstalt für Deutschlandstudien am Institut für politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Ihre Forschungsinteressen umfassen die deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, deutsche Minderheiten in Europa sowie nationale und ethnische Minderheiten in Polen. Sie ist auch Mitautorin des 2020 erschienenen Buches „Mniejszość niemiecka w województwie opolskim jako wartość dodana” („Die deutsche Minderheit in der Woiwodschaft Oppeln als Mehrwert“).

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