als aufmerksame Zeitgenossen wird Ihnen in dieser Ausgabe sicherlich ein neuer Name unter so manchem Artikel ins Auge gesprungen sein. „Tobias Weber“, das bin ich, Praktikant beim Wochenblatt.
Eigentlich studiere ich an der Universität Leipzig Geografie. Da in Deutschland jetzt allerdings gerade vorlesungsfreie Zeit ist, nutze ich die Gelegenheit, um mein Pflichtpraktikum mit meinen persönlichen Interessen zu verbinden und eine längere Zeit hier in Schlesien an der Oder zu verweilen.
Mein Großvater Horst Fleischer (1933 – 2020) stammte aus Mansdorf, einem kleinen Dorf bei Trachenberg, nördlich von Breslau. Wie alle aus seinem Dorf floh seine Mutter Wanda mit seiner Schwester Käte und ihm im Januar 1945 per Evakuierungszug über Zittau nach Frohburg, einer kleinen Stadt südlich von Leipzig. Dort wohnen meine Eltern und mein Bruder noch heute.
Als mein Opa 80 Jahre alt wurde, fuhren wir alle gemeinsam nochmal in die alte Heimat, besuchten die Schmiede, in der mein Urgroßvater die Pferde der Grafen von Hatzfeld beschlagen hatte, den Sophienteich, in dem mein Opa das Schwimmen erlernt hatte, die alte Schule, in der sie nichts lernten, da die jungen Lehrer an der Front waren und die aus der Pension zurückgeholten den ganzen Tag schliefen, die Kirche, den Friedhof, den Markt, den Wald und all die anderen Orte, an die er lebhafte Erinnerungen pflegte.
Die Neugier war geweckt
Diese Reise faszinierte mich damals 10-Jährigen so nachhaltig, dass ich mich in den nächsten Jahren aus verschiedenen Perspektiven mit diesem Thema auseinandersetzte: In der 10. Klasse schrieb ich eine erste 56-seitige Schularbeit zum Thema „Flucht und Vertreibung“, in Klasse 11/12 folgte eine zweite zur „Deutsch-polnischen Versöhnung“ mit 97 Seiten. In dieser Chronologie bin ich nun mit dem Praktikum bei der Deutschen Minderheit und dem kulturellen deutsch-polnischen Austausch in der Gegenwart angekommen.
Mein Interesse ist nicht mehr nur historisch bzw. (familien-)biografisch, sondern auch geographisch und gesellschaftspolitisch begründet: Wie geht eine moderne Demokratie mit ihren Minderheiten um? Welcher wortwörtliche Raum wird den Deutschen in der Öffentlichkeit, im Stadtbild gegeben? Welche wechselseitigen Beziehungen bestehen und wer profitiert davon?
Alles Fragen, über die wir im Hörsaal bereits vieles theoretisch behandelt haben. Nun möchte ich diese Fragen auch in der Praxis stellen und beantworten können – was mir in Leipzig, wo ich Teil der Mehrheitsgesellschaft bin, niemals so authentisch gelingen könnte wie hier.
Seien Sie also gespannt in den nächsten Wochen, den einen oder anderen Artikel mit historischen/biografischen wie geografischen Nuancen von mir zu lesen. In der Zwischenzeit möchte ich die Zeit nutzen und sowohl von Oberschlesien als auch Niederschlesien so viel wie möglich mitnehmen, dazu habe ich mein Fahrrad mitgebracht.
Tobias Weber