Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Menschenfeindlicher Prozess“

Eine Jury aus vier Sprachwissenschaftlern und einer Journalistin der institutionell unabhängigen Initiative „Sprachkritische Aktion“ hat „Pushback“ zum Unwort des Jahres 2021 gewählt. Der aus dem Englischen stammende Ausdruck wird im Kontext des Migrationsdiskurses verwendet und bezeichnet das Zurückdrängen oder Zurückweisen von Flüchtlingen an Landesgrenzen.

Die Aktion „Unwort des Jahres“ möchte auf „öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt daher den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen“, heißt es auf der Webseite der Initiative. Das können zum Beispiel jene Äußerungen sein, die gegen das Prinzip der Menschenwürde oder der Demokratie verstoßen oder einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren, stigmatisieren und diffamieren.

BU: Fotografische Visualisierung des Unwortes des Jahres 2021 „Pushback“
Foto: Unwort Bilder e. V.

Für 2021 wählte die fünfköpfige Jury nun den Ausdruck „Pushback“ zum Unwort des Jahres. Das aus der englischen Sprache stammende Wort bedeutet „zurückdrängen, zurückschieben“ und bezeichnet „die Praxis von Europas Grenztruppen, Flüchtende an der Grenze zurückzuweisen und am Grenzübertritt zu hindern“, sagt Constanze Spieß, Professorin für Pragmalinguistik am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität Marburg und Sprecherin der Jury. Die Juroren kritisieren die „unreflektierte Verwendung“ des Begriffes – auch seitens der Medien und Kritiker der Maßnahmen –, da er einen „menschenfeindlichen Prozess“ beschönige, der „den Menschen auf der Flucht die Möglichkeit nimmt, das Menschen- und Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen.“

In den vergangenen Monaten tauchte das Wort „Pushback“ vor allem in Zusammenhang mit den Tausenden gestrandeten Migranten an der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus auf. Immer wieder berichteten verschiedene Hilfsorganisationen, dass Polen die Flüchtlinge nach ihrem Grenzübertritt wieder zurück nach Belarus schicke – und ihnen mit dieser „Pushback“-Praxis das Grundrecht auf ein faires Asylverfahren verweigere. Der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, kritisiert Polen (und andere Länder) für ein solches Vorgehen und befürchtet, „dass dieser Begriff nicht nur das Unwort des Jahres, sondern das Unwort des Jahrzehnts werden könnte.“

Auf Platz zwei der unrühmlichen Liste der Unworte des Jahres landete für 2021 das Wort „Sprachpolizei“, das oft als Kampfbegriff in Diskussionen um geschlechtergerechte Sprache verwendet wird. Die Jury bewertete das Wort als „irreführend“, weil es „suggeriert, dass es eine exekutive Instanz gäbe, die über die Einhaltung von Sprachregeln ‚wacht‘ und bei ‚Nichteinhaltung‘ Bestrafungen vorsieht oder Bestrafungen durchsetzt.“

Das Unwort des Jahres wird seit 1991 gekürt. Im vergangenen Jahr fiel die Wahl sogar auf zwei Begriffe: „Rückführungspatenschaften“ und „Corona-Diktatur“. Vorschläge zum Unwort des Jahres können jederzeit von allen Bürgern eingereicht werden. Für das Jahr 2021 erhielt die Jury insgesamt 1.308 Einsendungen; dabei wurden 454 verschiedene Ausdrücke vorgeschlagen, darunter zum Beispiel „illegaler Kindergeburtstag“, „Covidiot“, „Tyrannei der Ungeimpften“, „Verweilverbotszone“ oder „Querdenker“ – allesamt Wörter, die sich auf die Coronapandemie beziehen.

Die Unworte des Jahres zwischen 2011 und 2021
2021 Pushback
2020 Rückführungspatenschaften & Corona-Diktatur
2019 Klimahysterie
2018 Anti-Abschiebe-Industrie
2017 alternative Fakten
2016 Volksverräter
2015 Gutmensch
2014 Lügenpresse
2013 Sozialtourismus
2012 Opfer-Abo
2011 Döner-Morde

Lucas Netter

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