Marc Biadacz (CDU), direkt gewählter Abgeordneter des Landkreises Böblingen im Deutschen Bundestag, über seine Arbeitsschwerpunkte im Parlament, die Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine, die oberschlesische Herkunft seiner Eltern und die Bedeutung von Kriegsgräberstätten.
Herr Biadacz, Sie sind nun seit 2017 Abgeordneter des Deutschen Bundestages, engagieren sich aber schon seit Ende der 1990er-Jahre in der Politik. Warum haben Sie sich in jungen Jahren dazu entschlossen, ausgerechnet in der CDU aktiv zu werden?
Tatsächlich hätte ich angesichts meines familiären Hintergrunds als Arbeiterkind – meine Eltern kamen in den 1960er-Jahren aus Gleiwitz nach Böblingen und haben fast 40 Jahre im Mercedes-Benz-Werk Sindelfingen in der Produktion gearbeitet – wohl auch in die SPD eintreten können. Aber dann war da Helmut Kohl: Als jemand, der 1979 in Böblingen geboren wurde, bin ich unter seiner Kanzlerschaft aufgewachsen und habe als Kind die friedliche Revolution sowie die Wiedervereinigung Deutschlands hautnah miterlebt. Helmut Kohl hat mich als Macher der Einheit fasziniert. Auch die Soziale Marktwirtschaft ist mir seit jeher wichtig. Deshalb bin ich in der CDU genau richtig.
Welchen thematischen Schwerpunkten widmen Sie sich im Bundestag und in Ihrem Wahlkreis?
Einer meiner Schwerpunkte als Abgeordneter in Berlin ist der wichtige Ausschuss für Arbeit und Soziales. Ich beschäftige mich dabei vor allem mit der Zukunft der Arbeit, also mit der Frage, wie wir die Arbeitswelt von morgen gestalten. Dieser Fokus passt gut auf den Landkreis Böblingen, der heute stark von der Automobilindustrie geprägt ist. Diese Branche ist derzeit von enormen Umbrüchen geprägt: Elektrifizierung, Autonomes Fahren und Künstliche Intelligenz. Um die neue Arbeitswelt und die digitale Welt miteinander zu verknüpfen, bin ich im Bundestag deshalb auch Mitglied im Digitalausschuss.
Der Stand der Digitalisierung in Deutschland wird – auch von den Menschen im östlichen Europa – oft belächelt. Wie ist Deutschland in diesem Bereich Ihres Erachtens mittlerweile aufgestellt? Sehen Sie Fortschritte?
Ich glaube, hier muss man trennen. Bei der Grundlagenforschung, der Künstlichen Intelligenz oder auch beim Quantencomputing sind wir Spitzenklasse. In diesen Bereichen kommen die deutsche Ingenieurskunst und unsere Tüftlermentalität zum Tragen – ganz besonders hier in Baden-Württemberg. Allerdings haben wir ein Umsetzungsproblem. Die Grundlagen und auch das Geld sind zwar da, nur in der Umsetzung sind wir oft noch zu bürokratisch. Das haben wir während der Coronapandemie aufs Neue gesehen: Der Onlineunterricht ist oft an bürokratischen Hürden gescheitert, zum Beispiel an der Frage, ob man die Software „Zoom“ nutzen dürfe. Andere Länder – auch Polen – können uns da ein Vorbild sein, denn in der Umsetzung sind sie oft viel pragmatischer und folglich auch schneller als wir.
Derzeit beschäftigt die Politik vor allem der Krieg in der Ukraine. Kürzlich haben Sie für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gestimmt. Warum?
Ich möchte betonen, dass ich schon am zweiten Tag des russischen Angriffskrieges die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gefordert habe. Ich bin kein Militarist, aber ich vertrete den Standpunkt: Wenn man angegriffen wird, muss man sich verteidigen. Deswegen bin ich der Meinung, dass die Ukrainer von uns – und damit meine ich die gesamte westliche Welt – schon viel früher hätten Waffen bekommen müssen. Aus diesem Grund habe ich mit voller Überzeugung dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und den Ampel-Fraktionen zugestimmt. Die Waffenlieferungen verlaufen aber immer noch schleppend. Die Bundesregierung muss hier nun endlich handeln, sie muss schneller und effektiver werden. Denn eines ist klar: Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren. Sie muss so stark sein, dass sie in Friedensverhandlungen mit Wladimir Putin treten kann. Das kann sie nur mit Waffen, denn dann hat sie ein starkes Verhandlungsmandat.
Kommen wir zu Ihren persönlichen Wurzeln. Sie haben schon kurz angeschnitten, dass Ihre Eltern aus Gleiwitz stammen und in den 1960er-Jahren nach Deutschland kamen. Warum haben sie Oberschlesien damals verlassen?
Meine Eltern und auch viele Verwandte haben sich als Deutsche in der Volksrepublik Polen nicht wohlgefühlt. Mein Vater wurde im Jahr 1943, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, geboren; als er in den Kindergarten kam, konnte er kein Polnisch sprechen und wurde deshalb gemobbt. Diese Erfahrung hat ihn sehr geprägt. Später haben er und meine Mutter realisiert, dass Schlesien nicht mehr ihre Heimat ist – mein Vater sagte immer, dass man die Grenzen nicht mehr verschieben dürfe, sonst hätte man den Dritten Weltkrieg. Sie haben also in der Region keine Zukunft mehr für sich gesehen und sich daher zur Ausreise nach Westdeutschland entschlossen.
Dass meine Eltern schließlich nach Böblingen kamen, war purer Zufall, denn hier gab es Arbeitsplätze. Mein Bruder und ich sind dann in Böblingen auf die Welt gekommen. Und mein Vater hat von Anfang an klargestellt: „Böblingen ist unsere Heimat!“ Er hat sich deshalb auch nie in einer der Landsmannschaften engagiert und ist zeit seines Lebens nie mit uns in seine Geburtsstadt Gleiwitz gereist. Ich bin mir aber sicher, dass Oberschlesien trotzdem immer einen festen Platz in seinem Herzen hatte.
Auf Ihrer Webseite schreiben Sie, dass Ihre Eltern ihr Heimatgefühl an Sie und Ihren Bruder weitergegeben haben. Was bedeutet „Heimat“ für Sie?
„Heimat“ ist für mich etwas ganz Positives und hat viel mit dem Herzen zu tun. Ich lasse mir den Heimatbegriff auch nicht von irgendwelchen Rechtsradikalen kaputtmachen. Für mich persönlich hat dieser Begriff mehrere Ebenen, der Böblingen, Deutschland und Europa umfasst. Aufgrund der Herkunft meiner Eltern betrachte ich aber auch Oberschlesien als einen Teil meiner Heimat. Ich merke auch, dass die Sehnsucht, dorthin zu gehen, wo meine Mutter und mein Vater aufgewachsen sind, mit den Jahren stärker wird. Im August dieses Jahres werde ich deshalb zum ersten Mal in meinem Leben gemeinsam mit meiner Mutter und meinem Bruder nach Gleiwitz reisen und den Wurzeln meiner Eltern nachspüren – mein Vater ist leider bereits im Jahr 2006 verstorben. Ich freue mich riesig, die dort lebenden Menschen – egal ob Polen, Schlesier oder deutsche Einwohner – kennenzulernen.
Vor Kurzem hat die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur Situation der deutschen Minderheit in Polen gerichtet. Sind Sie über die derzeitigen Herausforderungen und Probleme der hiesigen Minderheit im Bilde?
Ich bin natürlich über die Entwicklungen informiert, nicht zuletzt dank meines Kollegen Paul Ziemiak, der ja einen ähnlichen Familienhintergrund wie ich hat – und sogar selbst noch in Polen geboren wurde. Wir als deutsche Politiker sollten in dieser Frage ausgleichend wirken und darauf achten, dass die Minderheiten in ihren Rechten nicht eingeschränkt werden. Das müssen wir auch klar in die polnische Politik hinein kommunizieren: Minderheiten sind eine Bereicherung.
Sie engagieren sich auch im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Warum ist Ihnen dieses Engagement wichtig?
Als ich die Anfrage vom Volksbund bekommen habe, dachte ich zuerst: „Mein Gott, was ist das für eine altmodische Vereinigung! Braucht man so etwas überhaupt noch?“ Ich habe mich dann aber intensiv mit der Thematik beschäftigt und bin nun mit voller Leidenschaft dabei. Denn diese Gräber zeigen uns, was die Kriege vor allem in den Familien anrichten: Jedes einzelne Grab ist ein Schicksal, bedeutet Trauer, Schmerz und Tränen. Ich möchte mit meinem Engagement das Erinnern an das durch Kriege verursachte Leid aufrechterhalten. Diese Gräber sind ein Symbol des Nicht-Vergessen-Werdens. Sie sind daher alles andere als altmodisch, sondern sie sind außerordentlich wichtig und modern – und sie dürfen nie an Modernität verlieren, denn sonst vergisst man. Und wer vergisst, der weiß nicht, was in der Vergangenheit war.
Herr Biadacz, vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview führte Lucas Netter
Titelfoto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)