Im Juni werden es 30 Jahre, dass der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag unterzeichnet wurde. Er ermöglichte unter anderem die Gründung der Gesellschaften der deutschen Minderheit in Polen. Doch bereits vorher gab es erste Aktivitäten. Einer der ersten Gründer einer Gesellschaft der deutschen Minderheit in Ostpreußen war Paul Gollan aus Neudims.
Herr Gollan, wie hat es damals in Bischofsburg und Umgebung angefangen? Was war der Anstoß für die Gründung einer Gesellschaft der deutschen Minderheit?
Es hatte sich schon abgezeichnet, dass es zwischen Deutschland und Polen besser wird. Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki, die Versöhnungsmesse, die Verhandlungen. Gerade in der Zeit war Frau Ruth Brück aus Düsseldorf bei uns auf dem Hof zu Besuch. Sie stammte aus Königsberg, hatte bei uns schon jahrelang immer wieder Urlaub gemacht und mit ihren Kindern hier Geburtstag gefeiert. Sie hatte in Bonn Kontakte und meinte zu mir „Paul, wir müssen aktiv werden, in Schlesien tut sich schon etwas.“ Und sie hat mir ihre Hilfe angeboten.
Warum haben Sie sich so bei der Gründung engagiert?
Ganz einfach. Ich dachte mir so, wir sind deutsch und wir bleiben deutsch. Damals waren wir geschätzt noch 25.000, damals, 1990. Die Idee von Vereinen war daher sehr wichtig für uns. Da Polen und Deutsche jetzt gut miteinander verbunden waren, konnte man da etwas entwickeln. Ich war in Schlesien, habe das selbst miterlebt und die beiden Politiker begrüßen können. Später hat mich Frau Brück nach Bonn eingeladen. Dort wurde ich gefragt, wie das bei uns in Ostpreußen aussieht, ob wir viele Deutsche haben. Als ich bejahte, wurde gesagt, dass man eine Liste machen müsste; wie viele Unterschriften ich denn sammeln könne. Ich meinte, na, so 300. Als ich dann richtig anfing zu sammeln, waren wir schnell bei 800.
Eine stolze Zahl. Aber haben sich die Deutschen einfach so in die Liste eingetragen? Hatten sie keine Angst, sich zu zeigen?
Aber ja, natürlich. Als ich hier unterwegs war, hier im Revier, in einem Umkreis von 30 – 40 Kilometern, da musste ich bei manchen, als ich ankam, erst einmal – na „predigen“ ist zu viel gesagt – aber erklären, was das zu bedeuten hat, hier ist schließlich Polen. Eine alte Dame in Klein Ramsau (Ramsówko), die Mutter des Bekannten, den ich besuchte, meinte zu mir „Gollan – gut, aber viel zu spät“.
War das nicht damals schwierig und zeitaufwändig, in der Region herumzufahren und das über Wochen?
Das war schwer. Ich konnte nur am Wochenende, unter der Woche musste ich auf dem Hof schaffen. Wenn ich dann so über Land fuhr, kam ich spät heim und meine Frau und die Töchter versorgten die ganze Wirtschaft. Einmal im April kam ich nach Hause und suchte unsere Stute, die immer draußen stand. „Wo ist Puszka?“ fragte ich. Und da zeigte sich, dass sie auf der Wiese bei der Fischerei ein Fohlen geworfen hatte.
Heute würde Sie bei so etwas jemand mit dem Handy benachrichtigen. Damals hatten Sie noch nicht einmal ein Telefon, richtig?
Ja, das hat das Ganze zusätzlich erschwert. Im Ort Neudims direkt gab es schon Telefonanschlüsse, aber bei uns auf dem Abbau noch nicht. Später sagte mir jemand, wenn ich so aktiv bin, so viel mache, dann bräuchte ich unbedingt ein Telefon. Und da bekamen wir Geld und konnten eine private Leitung legen, das war keine einfache Arbeit. Aber ganz am Anfang – lief das alles noch ohne Telefon.
Die Menschen haben von damals immer das Bild im Kopf „Paul Gollan fährt auf seinem Traktor Unterschriften sammeln“…
…das war nicht immer so. [lacht] Natürlich war ich als Bauer mit meinem Traktor unterwegs, aber auch mit dem Auto oder zu Fuß. Einmal in Wieps (Wipsowo) sagte mir ein Deutscher „da hinten wohnen noch zwei, aber mit dem Auto geht das nicht“. Sie gaben mir ein Fahrrad und ich bin hingefahren. Die kannten mich nicht und haben mich erst einmal ausgefragt. Es war nicht einfach, das Eis zu brechen.
Apropos nicht einfach. Hat sich bei ihren Aktivitäten auch die polnische Staatssicherheit für Sie interessiert?
Aber sicher interessierte die das, was ich da machte. Ich sagte, Polen und Deutschland sind doch jetzt gut verbunden. Die einen wussten das nicht, andere wollten mich vermutlich erschrecken. In Danzig haben sie Hakenkreuze geschmiert, aber hier hatten wir keine Hindernisse, wir haben gute Nachbarn. Unser Büro bekamen wir bei Tierärzten im Zentrum von Bischofsburg und die waren stolz darauf, die deutsche Minderheit als Nachbarn zu haben.
Wie sah es mit der bürokratischen Seite aus? Wie war das z. B. mit der Satzung für die Gesellschaft? Das war ja bei einigen Vereinen auch nicht einfach…
Einige Kollegen kamen nach der Gründung zu mir und fragten, wie ich es ohne eine Ablehnung geschafft hätte. Ich hatte einen guten Freund, einen Anwalt, und der hat mir das vorbereitet. Vor allem verstand er, was für uns notwendig war. Zweimal war ich abends bei ihm, einmal bin ich direkt am Tisch eingeschlafen. Aber zwei, drei Tage später war die Satzung fertig und sehr gut. Im September hatten wir die Gründungsversammlung und im Oktober schon die Akzeptanz vom Gericht. Ja, so hat das damals angefangen.
Das Interview führte Uwe Hahnkamp