Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Mit der Muttermilch aufgesogen

Am Freitagabend vergangener Woche (21.04.) fand im in Oppeln beheimateten Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen (DAZ) das zweite Treffen der interkulturellen Gesprächsreihe „Minderheiten im Dialog“ statt. Zu Gast waren diesmal Marek Tutko, ein Angehöriger der Volksgruppe der Lemken, und seine Ehefrau Małgorzata.

Wie schon bei der ersten Veranstaltung der Gesprächsreihe, die von der im DAZ tätigen Kulturmanagerin des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), Dr. Maria Stolarzewicz, erdacht wurde, hatten auch diesmal wieder Dutzende Interessierte den Weg in den Veranstaltungssaal des Zentrums gefunden. Während die Zuhörer am 3. März noch den Ausführungen eines Nachfahrens der Lebakaschuben lauschten, möchten sie nun mehr über die Volksgruppe der Lemken erfahren. Die Stimmung ist gespannt und erwartungsvoll, als plötzlich Klaviertöne von der Dachterrasse des DAZ hineindringen und das Publikum in ihren Bann ziehen.

Die Frauen und Männer bekommen eine Komposition des amerikanischen Jazz-Pianisten William „Bill“ Evans (1929–1980) zu hören, die von dem Hauptgast des Abends, dem lemkischen Musiker Marek Tutko, dargeboten wird. Dass dieser ausgerechnet ein Stück von Bill Evans spielt, ist kein Zufall, war die Mutter des weltbekannten Komponisten doch ebenfalls eine Lemkin.

Zuzanna Herud im Gespräch mit Marek Tutko
Foto: Lucas Netter

Nach dieser erfrischenden Veranstaltungseröffnung nimmt Marek Tutko auf dem Podium vor dem Publikum Platz. Neben ihm sitzt Zuzanna Herud, die den anschließenden Austausch moderieren wird. Die Bevollmächtigte des Vorstandes der Woiwodschaft Oppeln für kulturelle Vielfalt zeigt sich bestens vorbereitet und liefert in einigen einführenden Worten wissenswerte Hintergrundinformationen zu den Lemken, jenem russinischen (ostslawischen) Volk, dessen historisches Siedlungsgebiet im heutigen Südostpolen (in den Woiwodschaften Kleinpolen und Karpartenvorland) und der Nordostslowakei liegt. Mit der sogenannten Aktion Weichsel im Jahr 1947 wurden die Lemken – wie auch die meisten ethnischen Ukrainer und Bojken aus der Region – allerdings in die westlichen Landesteile der Volksrepublik Polen zwangsumgesiedelt.

Marek Tutkos Großeltern, so verrät dieser während des Gesprächs, stammen aus den Niederen Beskiden, einem Mittelgebirge in der Gegend der Ostkarpaten. Im Zuge der Zwangsumsiedlung landete die Familie dann im Westen Polens; Marek selbst wurde in Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski) geboren. Erzogen wurde er aber stets im Bewusstsein seiner nationalen Herkunft. „Meine lemkische Identität habe ich mit der Muttermilch aufgesogen“, erzählt er. So ist Lemkisch seine Muttersprache, Polnisch lernte er erst im Kindergarten.

Die Jazz-Sängerin Gosza Tutko (links) ist zwar selbst keine Lemkin, verliebte sich aber schon in ihrer Jugend in die Kultur und Traditionen dieser Volksgruppe.
Foto: Lucas Netter

Wie Marek Tutko weiter berichtet, leben in Polen heute noch etwa 13.000 Menschen, die sich als Lemken definieren, viele davon in Niederschlesien. Ähnlich wie auch die deutsche Minderheit ist die Volksgruppe in verschiedenen Gesellschaften organisiert, zum Beispiel im Verein „Stowarzyszenie Łemków“ mit Sitz in Liegnitz (Legnica). Ihre Identität pflegt sie über die lemkischen Traditionen, die Musik und die Kunst; auch die jährlichen „Watra“-Kulturfestivals stärken den Zusammenhalt der Minderheit.

Die Musiker Gosza und Marek Tutko sind Teil der Folkmusikband „Re-Karpaty“ – und geben zum Ende des Treffens im DAZ einige Stücke aus ihrem Repertoire zum Besten.
Foto: Lucas Netter

Bei dem kürzlichen Treffen in Oppeln wird Marek von seiner Ehefrau Gosia begleitet, die zwar selbst keine Lemkin ist, sich aber schon in ihrer Jugend in die Kultur und Traditionen dieser Volksgruppe verliebte. Gemeinsam mit ihrem Mann ist die Jazz-Sängerin zudem Teil der Folkmusikband „Re-Karpaty“, die traditionelle lemkische Lieder auf moderne Weise interpretiert. Und so lassen es sich die beiden natürlich nicht nehmen, zum Abschluss des Abends vor dem begeisterten Publikum noch ein paar Stücke aus ihrem Repertoire zum Besten zu geben.

Lucas Netter

Am 13. Juni um 17 Uhr findet im DAZ das dritte und letzte Treffen im Rahmen der interkulturellen Gesprächsreihe „Minderheiten im Dialog“ statt. An diesem Termin wird die jüdische Malerin Mira Żelechower-Aleksiun ihre Kultur und Traditionen vorstellen.

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