Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Netzwerken in aparter Kulisse

Ende August organisierte der Bereich Integration und Medien des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in Berlin ein Netzwerktreffen für zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Minderheiten im östlichen Europa und Zentralasien. Auch eine Podiumsdiskussion zu den Krisen unserer Zeit wurde in diesem Rahmen veranstaltet.

Abgewetzte Wände, gesprungene Spiegel, ein riesiger Kronleuchter an der mehrere Meter hohen Stuckdecke: Das seit 1913 bestehende Tanzlokal „Clärchens Ballhaus“ an der Auguststraße im Berliner Ortsteil Mitte versprüht diesen morbid-ästhetischen Charme, für den die deutsche Hauptstadt bekannt und bei Touristen aus aller Welt so beliebt ist. Im Spiegelsaal dieses geschichtsträchtigen „Berliner Originals“ veranstaltete das in Stuttgart beheimatete ifa am Mittwoch vergangener Woche (31.08.) ein Netzwerktreffen mit hochrangigen Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Medien – und mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Minderheiten im östlichen Europa und Zentralasien. In einer Kulisse, die direkt aus der Fernsehserie „Babylon Berlin“ entsprungen zu sein schien und ein wenig das Lebensgefühl der Goldenen Zwanziger Jahre imitierte, ging es jedoch auch um die harten Themen unserer Zeit: „Corona, Krieg, Inflation: Was kommt nach der Krise?“, lautete nämlich das Thema der Podiumsdiskussion, die im Rahmen der Abendveranstaltung abgehalten wurde. Vor dem Hintergrund der globalen Zeitenwende, die wir derzeit in vielen unserer Lebensbereiche beobachten können, diskutierten die belarussische Philosophin Olga Shparaga, der aus der Ukraine stammende Musiker und DJ Yuriy Gurzhy sowie Roman Kühn, Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker, über die Frage, wie sich diese Transformation gestalten lässt – und welche Herausforderungen sie für Minderheiten mit sich bringt.

Moderiert wurde das Gespräch von Rafał Bartek, Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), der mit einem Augenzwinkern anmerkte, dass in den Räumlichkeiten von „Clärchens Ballhaus“ wohl keine Schlesier anwesend waren – denn sonst wären die Wände längst verputzt und der Saal auf Vordermann gebracht worden.

Rafał Bartek, Olga Shparaga, Roman Kühn und Yuriy Gurzhy (v. l.) während der Podiumsdiskussion in „Clärchens Ballhaus“
© ifa / Foto: Hans Scherhaufer

Unter den Anwesenden war auch die Generalsekretärin des ifa, Gitte Zschoch, die in ihrer Begrüßungsrede auf die herausragende Bedeutung von internationaler Kulturzusammenarbeit hinwies und die Förderung der deutschen Minderheiten als einen zentralen Teil des ifa-Portfolios hervorhob: „Nicht nur historisch, sondern gerade auch im aktuellen Kontext ist uns dieses Engagement extrem wichtig. Wir freuen uns über die Programme, die wir in diesem Rahmen gemeinsam mit [den Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Minderheiten] aufbauen durften und bis heute erfolgreich durchführen können.“ Beim ifa sei man der festen Überzeugung, „dass die deutschen Minderheiten einen eigenständigen Beitrag leisten können, kulturelle und zivilgesellschaftliche Brücken zu den Ländern zu bauen. Darin wollen wir sie nachhaltig unterstützen“, sagte Gitte Zschoch – und bedauerte zugleich die spätestens ab 2023 spürbaren finanziellen Einschnitte in der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.

Auch Natalie Pawlik, die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, wandte sich mit einem Grußwort an die vielen Gäste – wenn auch nicht persönlich, sondern „nur“ mittels einer zuvor aufgezeichneten Videobotschaft. Die 30-jährige SPD-Politikerin betonte, dass sich eine demokratische Gesellschaft auch daran messe, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Sie wolle verhindern, dass die Perspektive von Minderheiten übergangen oder gar nicht gehört wird. Dazu müsse man die Sichtbarkeit von Minderheiten und ihren Bedürfnissen stärken. „Minderheiten brauchen eine starke Lobby und eine starke Stimme, damit ihre Anliegen Gehör finden“, so Natalie Pawlik. Ernstgemeinte Minderheitenpolitik sei deshalb Teilhabepolitik.

Im Anschluss an ein weiteres Grußwort von Sylvia Groneick, Leiterin des Referats 601 im Auswärtigen Amt, das sich unter anderem mit den deutschen Minderheiten im Ausland beschäftigt, sowie der genannten Podiumsdiskussion hatten die angereisten Vertreterinnen und Vertreter eben jener deutschen Minderheiten noch die Gelegenheit, sich bei musikalischer Untermalung eines DJ-Sets von Yuriy Gurzhy dem vorrangigen Ziel dieses Empfangs zu widmen – dem Netzwerken.

Lucas Netter

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