Mit dem Potsdamer Geschäftsführer des Deutsch-Polnischen Jugendwerks, Stephan Erb, sprach Andrea Polanski über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit des DPJW, die sich wandelnden Themenschwerpunkte in der Jugendarbeit und die Rolle des deutsch-polnischen Jugendaustauschs für die europäische Integration.
Herr Erb, Sie sind jetzt schon mehr als 15 Jahre beim DPJW. Die Welt verändert sich rasant und die Digitalisierung entwickelt sich immer weiter. Wie wirkt sich das auf die Arbeit des DPJW aus?
Digitalisierung beeinflusst unsere Arbeit auf zwei Ebenen: Zum einen als Organisation, zum anderen in den von uns geförderten Jugendprojekten. Obwohl wir selbst keine Projekte durchführen, sondern nur fördern, haben wir früh in digitale Zusammenarbeit investiert – insbesondere wegen unserer Büros in Warschau und Potsdam. Seit rund 15 Jahren nutzen wir ein digitales System für das Antrags- und Abrechnungsmanagement. Diese frühzeitige Digitalisierung, einschließlich Videokonferenzsystemen, hat uns besonders während der Corona-Pandemie geholfen, flexibel zu bleiben.
Welche Auswirkungen haben Digitalisierung und die vermehrte Nutzung von digitalen Geräten, wie Smartphones, auf die Gestaltung und Durchführung von Projekten? Haben sich die Erwartungen und das Verhalten der Teilnehmenden dadurch verändert?
Die Digitalisierung hat die Gestaltung von Jugendbegegnungen stark verändert, da digitale Geräte und Online-Kommunikation heute selbstverständlich für junge Menschen sind. Früher hätten Teilnehmende Briefe geschrieben, heute ermöglichen Smartphones und Social Media eine nahtlose Vorbereitung und den Kontakt danach. Trotzdem hat die Pandemie gezeigt, dass digitale Interaktionen persönliche Begegnungen nicht ersetzen können. Für echte Verbindungen bleibt der direkte, physische Austausch zentral.
Digitale Archivprojekte ermöglichen es, weiterhin biografisch zu arbeiten und persönliche Geschichten aufzuarbeiten.
Mit dem digitalen Wandel ändern sich bestimmt auch die Themenschwerpunkte bei Jugendprojekten. Welche Themen gab es vor 15 Jahren und was ist heute für die Gen Z wichtig? Gibt es Themen, die sich seit Jahren bewähren?
Früher lag der Schwerpunkt oft auf dem Austausch selbst und dem Kennenlernen des Nachbarlandes. Für viele Jugendliche war die deutsch-polnische Begegnung die erste Gelegenheit, in direkten Kontakt mit dem Nachbarland zu kommen. Das Kennenlernen der Kultur und der Menschen stand daher im Mittelpunkt. Auch heute sind bewährte Themen wie Sport, kulturelle Bildung, Musik, politische Bildung und Geschichte noch immer von großer Bedeutung. Neu hinzugekommen sind Themen wie berufliche Orientierung, z. B. durch Praktika, und europäische Integration, besonders im Kontext von Polens 20-jähriger EU-Mitgliedschaft. Die Themenschwerpunkte haben sich also nur leicht verändert – was sich mehr entwickelt hat, ist die Art der Umsetzung, die stärker auf gemeinsame Interessen und globale Herausforderungen ausgerichtet ist.
Nehmen Sie Unterschiede in den Interessen, Erwartungen oder Verhaltensweisen der Jugendlichen aus verschiedenen Regionen Deutschlands und Polens wahr? Wenn ja, wie gehen Sie mit diesen Unterschieden in den Projekten um?
Es gibt Unterschiede in der Art der Projekte. Im grenznahen Raum lassen sich leichter kurzfristige und regelmäßige Projekte organisieren, während bei weiter entfernten Partnerschaften, wie etwa zwischen dem Saarland und Podkarpackie, dies schwieriger ist. Insgesamt zeigen sich jedoch keine nennenswerten regionalen Unterschiede bei den Themen der Projekte.
In Bezug auf historische Projekte wird im deutsch-polnischen Kontext weiterhin der Zweite Weltkrieg aufgearbeitet. Angesichts des fortschreitenden Verlusts von Zeitzeugen – wie könnte sich der thematische Schwerpunkt in Zukunft verändern? Wird der Zweite Weltkrieg weiterhin eine zentrale Rolle in der deutsch-polnischen Zusammenarbeit spielen, oder könnte der Fokus auf andere historische Ereignisse, wie z. B. den Kommunismus, verschoben werden?
Der Zweite Weltkrieg bleibt aufgrund seiner politischen und historischen Bedeutung ein zentrales Thema im deutsch-polnischen Kontext. In Deutschland weiß man oft wenig über die Besatzung und Unterdrückung in Polen. Was sich jedoch verändert, weil es nur noch wenige Zeitzeugen gibt, ist die Herangehensweise. Digitale Archivprojekte ermöglichen es, weiterhin biografisch zu arbeiten und persönliche Geschichten aufzuarbeiten. Gleichzeitig gibt es Potenzial, den Fokus auf andere historische Ereignisse zu lenken, etwa die Zeit des Kommunismus und die Wendezeit 1989, die für Deutschland und Polen unterschiedlich war. Auch hierzu finden bereits seit einigen Jahren Jugendbegegnungen statt.
Inwiefern tragen die Projekte des DPJW zur europäischen Integration bei? Gibt es Bestrebungen, die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene noch weiter zu intensivieren?
Die Projekte des DPJW fördern die europäische Integration auf mehreren Ebenen. Eine wichtige Rolle spielen dabei trilaterale Projekte. Seit vielen Jahren liegt ein besonderer Fokus auf der trilateralen Zusammenarbeit mit der Ukraine, der durch den russischen Angriffskrieg noch an Bedeutung gewonnen hat. Diese Projekte tragen zur Stärkung der Beziehungen zwischen jungen Menschen aus verschiedenen Ländern bei und ermöglichen einen erweiterten Blick auf Europa und seine Zukunft. Neben der Ukraine gibt es viele Projekte, die Nachbarländer wie Tschechien oder Frankreich einbinden. Für das kommende Jahr planen wir gemeinsam mit anderen Einrichtungen der internationalen Jugendarbeit eine größere multilaterale Veranstaltung, die anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes stattfinden soll und sich mit der Frage beschäftigt, wie die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg das heutige Streben nach Frieden beeinflussen. Dennoch bleibt der Kern der DPJW-Arbeit der deutsch-polnische Austausch, wobei trilaterale Projekte eine wertvolle Erweiterung darstellen.
Wie bewerten Sie abschließend die langfristigen Auswirkungen der DPJW-Projekte auf die Jugendlichen in Deutschland und Polen?
Die langfristigen Auswirkungen der DPJW-Projekte sind positiv, auch wenn sie schwer exakt zu messen sind. Studien und Erfahrungsberichte zeigen, dass viele Jugendliche nachhaltige Eindrücke mitnehmen. Einige bezeichnen die Austauschprojekte sogar als lebensverändernd, und viele bleiben langfristig mit den Menschen aus den Begegnungen in Kontakt. Solche Projekte fördern nicht nur das Interesse am Nachbarland, sondern schaffen auch persönliche Verbindungen und stärken das gegenseitige Verständnis zwischen jungen Menschen in Deutschland und Polen.