Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Oberschlesische Industriegeschichte mit Pfiff

Das oberschlesische Festival der Industriekultur Industriada ist die etwas jüngere Tochter des Ruhr-Festivals Extraschicht im Ruhrpott. In diesem Jahr wird sie am 1. Juni und bereits zum 15. Mal stattfindet.

Feiert in Nickischschacht mit: Ideengeber der Industriada Dr. Jerzy Gorzelik

Die Industriada erstreckt sich auf die Woiwodschaft Schlesien und sei die beste Werbung für die Woiwodschaft Schlesien und Ostoberschlesien, so Dr. Jerzy Gorzelik, Ideengeber des seit 2010 veranstalteten Industriekulturfestes.  „Es geht hier um die Tradition, die Geschichte dieser Region. Diese Veranstaltung ist ein identitätsstiftender Faktor, denn sie hilft, das Erbe anzunehmen, es zu pflegen und als Alleinstellungsmerkmal anzusehen“, sage Gorzelik, der Vorsitzende der Bewegung für die Autonomie Schlesiens (Ruch Autonomii Śląska).

Beliebteste Attraktion der Industriada: die Schmalspurbahn in Beuthen-Karf

Die Unterhaltung in Form von Spielen, Vorträgen, Ausstellungen oder Konzerten, die am Tag der Industriada alle kostenfrei sind, dient dazu, die Industriegeschichte „an den Mann zu bringen“. Den Anfang macht am 1. Juni die Arbeitersiedlung Nickischschacht (Nikiszowiec) im Osten von Kattowitz (Katowice). Diese Backstein-Siedlung wurde 1915 für Bergleute der Gieschegrube erdacht und 1924 nach Plänen der Charlottenburger Architekten Emil und Georg Zillmann gebaut. Ab 12 Uhr wird in Nickischschacht bei Blasmusik gefeiert. Auf dem Programm steht neben zahlreichen Veranstaltungen auch eine Filmvorführung zur Idee und Durchführung der Industriada. Der Film wird im Kattowitzer Geschichtsmuseum Nikischschacht, ul. Rymarska 4, gezeigt.

47 Objekte an 29 Orten der Woiwodschaft Schlesien: Die Industriada bietet am 1. Juni auch kostenlosen Bus- und Bahntransport. Informationen auf www.industriada.pl

Ruht auf dem Beuthner Ring: Theodor Kalides schlafender Löwe

Mit von der Partie ist auch dieses Mal wieder Gleiwitz (Gliwice), unter anderem mit dem Kunsteisengussmuseum, ul. Bojkowska 37. Dort wird ab 12 Uhr die Verbindung von Kunst und Industrie gefeiert. Das Kunsteisengussmuseum pflegt das Erbe der einstigen Königlich-Preußischen Eisengießerei zu Gleiwitz,  „denn mit dem 10. November 1796, an dem die Gleiwitzer Hütte nach englischem Vorbild als erste aller festländischen Hütten den Hochofenbetrieb mit Koks aufnahm, beginnt ein neuer wichtiger Zeitabschnitt in der Entwicklung dieser Industrie, und insbesondere der Oberschlesischen“, schrieb Rudolf Seidel in seiner „Denkschrift zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Königlichen Eisengießerei zu Gleiwitz“ 1896.

 

Zweite Hütte Preußens

Historische Lohnhalle und Maschinenhaus der Gleiwitz-Grube, Werk der Zillmanns: Heute Bildungs- und Geschäftszentrum “Neues Gleiwitz”.

Dieser von Friedrich Wilhelm Graf von Reden (1752–1815) gegründete Staatsbetrieb war die zweite Hütte Preußens nach der 1754 gegründeten Eisenhütte im ebenfalls oberschlesischen Malapane (Ozimek). Am Bau der Königlich Preußischen Eisengießerei in Gleiwitz war der Bauingenieur und Konstrukteur John Baildon (1772–1846) beteiligt. Bauingenieur und Hüttenbaudirektor Johann Friedrich Wedding (1759–1830) erbaute in Gleiwitz einen Kokshochofen. Die Kunst zog mit Friedrich Ludwig Beyerhaus in die Gießerei zu Gleiwitz ein. Er wurde als erster Modelleur 1816 von Berlin dorthin berufen. Unter seiner Leitung setzte man die höchste Kriegsauszeichnung, das „Eiserne Kreuz“, nach dem Entwurf Karl Friedrich Schinkels um. Zu den bedeutenden Schülern von Beyerhaus gehört der in Paprotzan (Paprocany) bei Tichau (Tychy) geborene August Kiß (1802–1865). Von ihm stammt die Amazone zu Pferde am Alten Museum zu Berlin.

Ein ebenso bedeutender Schüler von Beyerhaus war der Bildhauer Theodor Kalide (1801–1863) aus Königshütte (Chorzów), der sich auf Tierplastiken und Mensch-Tier-Gruppen spezialisiert hatte. Seine schlafenden oder wachenden Löwen sind noch vielerorts in Oberschlesien zu finden. Wie Kiß studierte auch Kalide Kunst in Berlin, wo er bis zu seinem Tode ein Atelier – Unter den Linden, Ecke Pariser Platz – betrieben hat. Sein einziges, lebensgroßes sakrales Werk, eine Marienfigur, blieb an seinem Ursprungsort, der Heiligkreuzkirche in Miechowitz (Miechowice), einem Stadtteil vom Beuthen (Bytom), erhalten.

Das heutige Museum in Gleiwitz, zu dessen Abteilungen das Kunsteisengussmuseum gehört, ist dank einer „Schenkung“ der Gleiwitzer Fabrik für Technische Geräte im Besitz bedeutender Modelle und Gussformen. Doch allein schon das Museumsgebäude ist einen Besuch wert. Es befindet sich in den Tagesanlagen der einstigen Gleiwitzgrube. Diese wurden von 1912 bis 1914 ebenfalls von den Zillmanns entworfen.

 

Auf Oberschlesischer Spurweite

Die Oberschlesische Schmalspurbahn in Beuthen-Karf (Bytom-Karb) gehört zu den beliebtesten Industriada-Attraktionen.  Die 1841 gegründete Oberschlesische Eisenbahn schuf in den Jahren 1851-55 ein ausgedehntes Netz von Schmalspurbahnen in einer Spurweite von 785 mm. Dies entsprach zwei Preußischen Fuß und sechs Zoll – auch bekannt als Oberschlesische Spurweite. Damit wurde das oberschlesische Industrierevier erschlossen. Heute kann man auf der einzigen in Betrieb befindlichen Strecke Beuthen – Tarnowitz (Tarnowskie Góry) – Georgenberg (Miasteczko Śląskie) mit einer Touristenbahn reisen. In den alten Werkstätten von Beuthen-Roßberg (Bytom-Rozbark) ist ein Eisenbahnmuseum untergebracht. Am Tag der Industriada wird man mit der Schmalspurbahn auch zum historischen Silberbergwerk in Tarnowitz reisen können.

Das Programm der Industriada finden Sie auf www.industriada.pl

Historische Eisengusswerke: Im Kunsteisengussmuseum zu Gleiwitz
Fotos: K. Kandzia

K. Kandzia

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