Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Pessimistische Prognosen

Die Europäische Kommission hat ihre Frühjahrsprognose für die 27 Länder der Europäischen Union vorgelegt. Sie ist nicht optimistisch. Man weist darin auf eine Verschlechterung der Wachstums- und Inflationsaussichten hin, die weitgehend auf die durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöste Energiepreiskrise zurückzuführen sei.

„Polen geht mit starken wirtschaftlichen Fundamentaldaten in das Jahr 2022. Aber eine Verschlechterung der Investitionsstimmung, ein Einbruch des Handels mit Russland und der Ukraine und eine steigende Inflation, die sich auf die Kaufkraft auswirkt, werden das Wirtschaftswachstum kurzfristig bremsen. Die polnische Wirtschaft wird 2022 um 3,7 Prozent und 2023 um 3 Prozent wachsen“, sagte Paolo Gentiloni, der Wirtschaftskommissar der Europäischen Union. Erst Anfang Februar schätzte die Europäische Kommission das polnische Wachstum auf 5,5 Prozent im Jahr 2022 und 4,2 Prozent im Jahr 2023. Die Europäische Union insgesamt wird in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent (1,6 Prozent in Deutschland) verzeichnen, was unter den früheren Erwartungen von 4 Prozent liegt.

Es wird ein schwieriges Jahr

Im Jahr 2023 dürfte das Wachstum in der gesamten Europäischen Union dagegen 2,3 Prozent betragen (2,4 Prozent in Deutschland). Die EU-Kommission prognostiziert für Polen eine Inflationsrate von 11,6 Prozent im Jahr 2022 (6,5 Prozent in Deutschland), wobei der stärkste Anstieg im dritten Quartal erwartet wird, und von 7,4 Prozent im Jahr 2023 (3,1 Prozent in Deutschland). Die Inflationsraten und Prognosen für die nächsten zwei Jahre sind in der Europäischen Union sehr unterschiedlich. Die Inflation in Mittel- und Osteuropa ist deutlich höher als in der übrigen EU, betonte Paolo Gentiloni. In diesem Jahr werden die prognostizierten Inflationsraten von 4,4 Prozent in Portugal bis 12,5 Prozent in Litauen reichen (bei einem EU-Durchschnitt von 6,8 Prozent), und im Jahr 2023 von 1,8 Prozent in Spanien bis 7,3 Prozent in Polen (bei einem EU-Durchschnitt von 3,2 Prozent). Eine so starke Differenzierung der Inflation zwischen dem östlichen Teil der EU und dem Rest der EU ist laut Experten der EU-Kommission größtenteils das Ergebnis von Diskrepanzen im Wachstum der Einzelhandelspreise für Energie sowie von Unterschieden in der Bedeutung der Ausgaben für Energie und Lebensmittel in den „Warenkörben“ der einzelnen EU-Länder. In Polen zum Beispiel verschlingen die Kosten für Lebensmittel und Energie einen größeren Teil des Standardhaushaltsbudgets als in Deutschland. Aus diesem Grund wirken sich die Preissteigerungen in den Bereichen Lebensmittel und Energie auch stärker auf einige makroökonomische Indikatoren in Polen aus. „Trotz einer Reihe von Maßnahmen der polnischen Regierung zur Senkung der Steuersätze auf bestimmte Waren prognostizieren wir, dass die starke Preisdynamik im Jahr 2022 vor allem aufgrund der weltweit steigenden Energie- und Lebensmittelpreise anhalten wird“, so die Autoren der Analyse zur Situation Polens, auf der die heute von Paolo Gentiloni angekündigte Wirtschaftsprognose basiert. Kurzum, es steht uns ein schwieriges Jahr bevor.

Polen stark gefährdet

Die Europäische Kommission hat auch Schätzungen über die wirtschaftliche „Gefährdung“ einzelner EU-Länder durch den Krieg in der Ukraine vorgelegt und betont, dass die baltischen Staaten und die Länder Mittel- und Osteuropas vor allem aufgrund der hohen Energieintensität ihrer Volkswirtschaften und der Bedeutung Russlands für ihren Außenhandel, einschließlich der Gaseinfuhren, am stärksten gefährdet sind. Brüssel weist darauf hin, dass unter den großen EU-Staaten Polen für die wirtschaftlichen Risiken des Krieges in der Ukraine „am anfälligsten“ erscheint. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Land relativ stark von Verlusten durch den Zusammenbruch des Handels mit Russland und der Ukraine betroffen ist. In Deutschland, den Niederlanden und Italien hingegen liegt das Gefährdungsniveau im EU-Durchschnitt. Im Falle Deutschlands und Italiens hängt dies weitgehend mit der Bedeutung der russischen Gasimporte im Energiemix des Landes zusammen. Und Frankreich und Spanien sind die großen EU-Länder, die am wenigsten vom derzeitigen Krieg betroffen sind. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die zunehmende Unsicherheit über die wirtschaftlichen Aussichten und die hohe Inflation die Bereitschaft der polnischen Haushalte, Geld auszugeben, verringern werden, obwohl „ein großer Zustrom von Menschen, die aus der Ukraine fliehen, den Konsum anregen“ und diese Faktoren etwas ausgleichen werde. Brüssel geht davon aus, dass die privaten Investitionen für den Rest des Jahres 2022 gedämpft sein werden, da das geringere Vertrauen die Unternehmen veranlasst, Investitionsentscheidungen aufzuschieben. Trotz dieser negativen Entwicklungen rechnet die Europäische Kommission mit einem weiteren Beschäftigungswachstum in Polen, auch wenn (nach der EU-Methodik) die Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent im Vorjahr auf 4,1 Prozent im Jahr 2022 ansteigen dürfte. „Es wird erwartet, dass das Lohnwachstum im Jahr 2022 aufgrund einer Erhöhung des Mindestlohns und steigender Inflationserwartungen weiter an Fahrt gewinnt, was zu höheren Lohnforderungen führen dürfte“, schätzen die Experten der Europäischen Kommission.

Krieg erhöht das Defizit

Ungünstige wirtschaftliche Entwicklungen infolge des Einmarsches Russlands in der Ukraine werden nach Brüsseler Prognosen zu einer erheblichen Verschlechterung der polnischen Haushaltslage im Jahr 2022 führen. Das Defizit des öffentlichen Finanzsektors wird 2022 auf 4 Prozent des BIP (von 1,9 Prozent des BIP im Jahr 2021) und auf 4,4 Prozent des BIP im Jahr 2023 ansteigen, was auf die Kosten für „vorübergehende Maßnahmen als Reaktion auf die hohen Energie- und Lebensmittelpreise“ und die Kosten für die Unterstützung der aus der Ukraine geflohenen Menschen zurückzuführen sei. Trotzdem such die Europäische Union noch immer nicht nach zusätzlichen Mitteln zur Unterstützung von EU-Ländern, die Flüchtlinge aufnehmen. Stattdessen bietet die EU-Kommission Polen u. a. eine schnelle und einfache Umverteilung von EU-Geldern an, die ohne den Krieg für andere, normale kohäsionspolitische Ziele verwendet worden wären „Die große Steuerreform von 2022, die ,Polnische Ordnung’, wird das Einkommenssteueraufkommen erheblich verringern, vor allem aufgrund der Senkung des Grundsteuersatzes für die Einkommensteuer“, schätzt die Europäische Kommission. Die polnische Staatsverschuldung, die nach der EU-Methode berechnet wird, dürfte von 54 Prozent des BIP im Jahr 2021 auf 50 Prozent des BIP im Jahr 2023 sinken.

Johann Engel

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