Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Der Schreckensort Zgoda

Gerhard Gruschka ist Sprecher der ehemaligen Zgodahäftlinge.
Gerhard Gruschka ist Sprecher der ehemaligen Zgodahäftlinge.

Die Deklaration eines „Jahres der Oberschlesischen Tragödie“ hat in Polen bewirkt, daß das Leid und die Ausweglosigkeit der Bewohner Oberschlesiens im Jahr 1945 von einer größeren Öffentlichkeit als bisher wahrgenommen worden ist.

 

Wie erlebte ein vierzehnjähriger Junge jene oberschlesische Tragödie? Zuallererst in Form einer großen Enttäuschung. Vaters Glaubenssatz beim Vorrücken der Sowjettruppen auf Oberschlesien lautete: „Wir bleiben, schlimmer als unter Hitler kann es nicht werden“. Die Sowjets kamen und mit ihnen die Plünderungen, Vergewaltigungen, Erschießungen und die Brandlegungen. Und es gab jenen Ukas, nach dem sich alle Männer zwischen 16 und 50 Jahren an einem bestimmten Tag und Ort einzufinden hätten, mit Verpflegung für 14 Tage. Solange würde ihr Arbeitseinsatz im Hinterland der Front dauern. Der Vierzehnjährige sah in den nächsten Tagen immer wieder Kolonnen von Männern durch die Stadt in östliche Richtung ziehen. Sie ahnten noch nicht, welchem Schicksal sie entgegengingen.

 

Und da gab es damals auch noch die leergewordenen Gefangenenlager und Gefängnisse. Der Rachedurst williger Helfershelfer der Sowjets war groß, sodass diese Lager und Gefängnisse bald wieder gefüllt – überfüllt waren.

 

Von der Verhaftungswelle, die auf die Deportationen folgte, wurde auch der Vierzehnjährige überspült. Eine Woche NKWD, eine weitere Woche UB in seiner Heimatstadt, dann das inzwischen in ganz Oberschlesien zum Schreckenswort gewordene Lager Zgoda. Seine ganz persönliche Tragödie dabei – er war ein aus dem sogenannten Deutschen Jungvolk „unehrenhaft“ Ausgestoßener.

 

Im Lager Zgoda aber wurde er Hitlerjunge, HJczik, und er kam in den berüchtigten „Braunen Block“. An Folterungen bei Verhören war er bereits in seiner Heimatstadt gewöhnt worden. Aber nun brach alles in einem noch größeren Ausmaß über ihn herein, in den Nächten hemmungsloses Schlagen, Prügeln mit Stöcken und Gummiknüppeln, mitunter auch mit Holzschemeln. Die Bewacher waren zusätzlich sehr erfinderisch mit Demütigungen und Erniedrigungen. Seine ganze Kinderwelt begann von nun an mehr und mehr zusammenzubrechen, zumal er gleich in der ersten Nacht schmerzende Schläge erhalten hatte, weil er die 2. und 3. Strophe des sogenannten Horst-Wessel-Liedes nicht mitsingen konnte.

 

Im Sommer 1945 wütete im Lager eine Typhusepidemie, bei der ein Großteil der Häftlinge den Tod fand. Im Oktober kam für den Jungen aus Gleiwitz dann der letzte Akt seiner persönlichen Tragödie. Es gab eine Entlassungsaktion, die für ihn damit endete, daß er im Lager zurückbleiben und erst noch das Lager Jaworzno und ein Krakauer Gefängnis kennenlernen mußte. Er hatte dem vernehmenden Prokurator gegenüber seinem Wissensstand entsprechend darauf beharrt, daß Gleiwitz, Gliwice wie es der Staatsanwalt nannte, eine deutsche Stadt sei und keine urpolnische, und er hatte die Frage, ob er nicht Pole werden wolle, verneint. Die Oberschlesische Tragödie hatte für ihn nunmehr endgültig ihren konkreten klassischen Wortsinn erlangt – sie war ein unabwendbares leidvolles Geschehen geworden.

 

Seit alledem sind sieben Jahrzehnte vergangen. In den beiden letzten sind in Oberschlesien Erinnerungsorte an die Oberschlesische Tragödie entstanden, die zu Menschlichkeit und Versöhnung mahnen. Auch wenn es hie und da Ausdeutungen gibt, die den historischen Realitäten kaum standhalten – letztlich trugen die Opfer der Oberschlesischen Tragödie alle den einigenden Namen Mensch.

 

Gerhard Gruschka

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