Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Deutsch ist nicht sicher”

Tomasz Wicherkiewicz beim FUEV-Kongress Foto: Krzysztof Świderski.
Tomasz Wicherkiewicz beim FUEV-Kongress Foto: Krzysztof Świderski.

Die deutsche Sprache sei eine große Stärke der Woiwodschaft Oppeln, sagen führende Vertreter der deutschen Minderheit und haben damit Firmen im Sinn, die sich in der Region niederlassen, weil es dort ein beträchtliches deutsches Sprachpotenzial gibt. Der Sprachenforscher Dr. Tomasz Wicherkiewicz schlägt dennoch Alarm: Um die deutsche Sprache sei es in Polen gar nicht so gut bestellt, wie es den Anschein haben könnte.

 

„Ich kann leider nicht die Meinung teilen, dass Deutsch in Polen eine sichere Sprache ist. Im Übrigen gibt es in unserem Land, vielleicht außer Litauisch, keinen zweiten solchen Fall“, sagt Dr. Wicherkiewicz auf unsere Frage, welche nationalen und ethnischen Minderheiten in Polen ihre jeweilige Sprache als vom Aussterben bedroht ansehen müssten. Die Frage an den Lehrbeauftragten der Posener Mickiewicz-Universität ist nicht zufällig gestellt: Dr. Wicherkiewicz befasst sich seit Jahren mit dem Thema Minderheitensprachen und insbesondere mit den Gefahren, die die heutige globalisierte Welt für sie mit sich bringen.

 

Identität

 

Wie Tomasz Wicherkiewicz in seinen Veröffentlichungen betont, dient Sprache den Bevölkerungsgruppen nicht nur zur Verständigung – sie ist vor allem der Bestimmungsfaktor für kollektive Identität: „Eine Menschengruppe sieht sich vor allem deshalb als Nation, weil sie dieselbe Sprachvariante spricht, während andere Gruppen um sie herum abweichende Sprachvarianten sprechen“, meint Wicherkiewicz. Bei den Deutschen sei dieses Phänomen besonders stark zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgeprägt gewesen, als es noch keinen deutschen Einheitsstaat gab, sondern nur einzelne deutsche Länder. Es gab damals jedoch ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Nation, um die Bevölkerung zum Kampf gegen Napoleon zu motivieren. „Man war damals bemüht, ein Deutschsein-Gefühl in den Menschen zu erwecken, indem man zeigte, was die Deutschen miteinander verband. Da es noch keinen einheitlichen Staat gab, konnten es nur politische Geschehnisse sein. Es waren also vor allem die Sprache, Kultur und einzelne Traditionen“, erläutert der Historiker Heinrich August Winkler.

 

Trotz der wichtigen Rolle, die der Sprache in unserem Leben zukommt, ist deren Situation in der heutigen Welt alarmierend. Nach Angaben der UNESCO ist die Hälfte der etwa 6.000 Sprachen, die von den Menschen auf der Erde gesprochen werden, vom Aussterben bedroht. Dr. Wicherkiewicz definiert eine gefährdete Sprache als eine, die von einer relativ kleinen Menschengruppe gesprochen wird, die neben einer dominierenden anderssprachigen Gruppe lebt. Gefährdet sei sie dann, wenn ihre Sprecher sie zunehmend aufgeben und sich zu immer mehr Themen in der jeweils dominanten Sprache äußern. Ein Schlüsselmoment sei der Augenblick, in dem die Eltern ihre Sprache zu sprechen aufhören und in Anwesenheit ihrer Kinder und bei Kontakten mit ihnen zur Mehrheitssprache wechseln: „Die jeweilige Minderheitensprache bildet sich dann allmählich zurück und verschwindet in der Folge ganz“, so Wicherkiewicz.

 

Gefahren

 

Wie viele Sprachen sind nun in Polen in Gefahr? Wie die Internetseite www.inne-jezyki.amu.edu.pl belegt, haben wir im Land neben Polnisch noch 19 Hauptsprachen und Mundarten der nationalen und ethnischen Minderheiten sowie anderer Regionalgruppen, und alle seien theoretisch als bedroht anzusehen. Tomasz Wicherkiewicz definiert die wichtigsten Faktoren dieser Gefährdung: „Eine Sprache ist vor allem dann bedroht, wenn die generationsübergreifende Sprachüberlieferung fehlt oder gestört ist. Dies ist auch bei der deutschen Sprache in Polen der Fall.“ Der Posener Hochschullehrer meint damit vor allem die kommunistische Zeit in Polen, in der es mit wenigen Ausnahmen keine Möglichkeit gab, Deutsch in der Schule zu lernen. Das Deutschsprechen in der Öffentlichkeit wurde damals mitunter sogar hart bestraft, ein Studieren und ein beruflicher Aufstieg waren erschwert.

 

In seinem Vortrag beim Kongress der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) in Breslau stellte Wicherkiewicz aber auch einen anderen, moderneren Faktor, der eine Gefahr für die deutsche Sprache darstelle, vor. Mittels Dias mit Fotos von beschmierten zweisprachigen Ortsschildern sowie mittels Screenshots mit antideutschen Kommentaren deutete der Wissenschaftler an, dass eine mangelnde Akzeptanz gegenüber dem Deutschtum und in der Konsequenz auch gegenüber der deutschen Sprache wirksam davon entmutigen könne, diese Sprache möglichst häufig zu verwenden. Diese mangelnde Akzeptanz könne somit das Aussterben dieser Sprache beschleunigen.

 

Die Tatsache, dass die deutsche Sprache in Polen bedroht ist, sollte nicht nur die deutsche Minderheit als Sprecher dieser Sprache alarmieren, sondern auch die polnische Mehrheitsbevölkerung. Wie Rafał Bartek bei der jüngsten Eröffnung der Fußballschule in Klein Kottorz deutlich machte, „kommen viele Investoren nur deshalb hierher, weil es hier die von ihnen nachgefragten deutschsprachigen Arbeitskräfte gibt”. In den Firmen mit deutschem Kapital, die sich zunehmend zahlreich in Polen ansiedeln, finden indes neben Angehörigen der Minderheit auch Menschen aus der Mehrheitsbevölkerung sehr oft Anstellung. Deutsch ist zu einer Verkehrssprache bei Geschäften geworden und bringt ganz reale Profite dem Staat und den Menschen nicht nur in Schlesien, sondern auch z.B. im Raum Posen, wo ein Volkswagen-Werk hunderte Menschen beschäftigt.

 

Herausforderungen

 

Was ist somit zu tun, um das Deutsche in Polen vor einer weiteren Zurückbildung und in der Folge vor dem Aussterben zu bewahren? Vor allem muss man sich dem Problem einmal zuwenden. Den Kern davon hat auch schon der Verband deutscher Gesellschaften (VdG) erkannt und beim Breslauer Kongress zusammen mit der FUEV eine Resolution zu bedrohten Sprachen verabschiedet: „Der FUEV-Kongress hat ganz deutlich gezeigt, dass auch Sprachen wie Karaimisch oder Wilmesaurisch einer Neubelebung bedürfen. Aber auch das Deutsche in Schlesien oder Masuren kann nach der jahrelangen Diskriminierung und infolge der jetzigen demografischen Prozesse als bedroht angesehen werden“, sagte VdG-Chef Bernard Gaida bezugnehmend auf die Resolution. Beim Schutz der Minderheitensprachen brauche man neben einem koordinierten Programm aber auch Geld: „Wir hoffen, dass in erster Linie Nichtregierungsorganisationen ein Netzwerk von guten Praktiken schaffen. Dies wäre eine gute Basis für Revitalisierungsprogramme, die eine anschließende Beantragung von Mitteln für ihre Umsetzung begründen können“, so Gaida.

 

Ansätze für Programme zum Schutz der Minderheitensprachen in Polen seien inzwischen nicht zuletzt dank Initiativen von Tomasz Wicherkiewicz entstanden. So sind im Onlineportal languagesindanger.eu, das von dem Wissenschaftler mitverfasst wird, Vorschläge zur Dokumentierung der bedrohten Sprachen zu finden, z.B. nach dem Motto „Nehmen Sie Ihre Oma auf Band auf”. Auf diese Weise konnte z.B. die alznerische Sprache wiederentdeckt werden. Es ist ein seltener deutscher Dialekt, der von einer kleinen Gruppe von Bewohnern eines Stadtteils von Bielitz-Biala gesprochen wird.

 

Experten betonen gleichwohl, dass neben Regierungs- und EU-Programmen zur Bewahrung von Sprachen auch die jeweiligen Sprecher selbst ihren Beitrag leisten müssten, indem sie ihre Sprache möglichst oft in Alltagssituationen verwenden.

 

Łukasz Biły

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