Als der ehemalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk vor gut einem Jahr Präsident des Europäischen Rates wurde, übernahm mit Ewa Kopacz eine Frau das Amt. Nach elf Monaten musste sie im Zuge der Parlamentswahlen das politische Feld schon wieder räumen – doch auf dem Fuße folgte mit Beata Szydło die nächste Regierungschefin. Anders bei der deutschen Minderheit: In der obersten Liga spielen hier die Männer. Wir wollten wissen warum.
Noch vor acht Jahren waren es lediglich 29 Prozent Frauen, die für politische Ämter kandidierten, im letzten Jahr waren es 45 Prozent, ein Aufwärtstrend, der sich auch bei der deutschen Minderheit bemerkbar macht. Seit gut einem Jahr ist Anna Ronin vom DFK Schlesien Stadträtin in Ratibor. Damit hat sie es als einzige Frau der deutschen Minderheit in der dortigen Woiwodschaft geschafft, über den Wirkungskreis des DFK hinaus ein politisches Amt in der polnischen Öffentlichkeit zu vertreten und der deutschen Minderheit ein Gesicht zu geben. Als Kandidatin bei den Parlamentswahlen belegte sie mit dem Komitee „Vereint für Schlesien“ im Kreis Ratibor hinter den großen Parteien den vierten Platz. Auch wenn das Wahlkomitee der Deutschen in Schlesien keinen Abgeordneten stellen konnte, war es für Anna Ronin ein Erfolg auf ganzer Linie.
Neben ihrem Amt als Stadträtin leitet die 39-Jährige die Radioredaktion „Mittendrin“ und ist außerdem vereidigte Übersetzerin für die deutsche Sprache. Diese Aufgaben mit ihrem Familienleben und ihren drei Kindern unter einen Hut zu bringen, erfordere ein gutes Zeitmanagement und Unterstützung der Familie – eine echte Herausforderung. Doch von nichts kommt nichts und wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ronin bedauert, dass nicht mehr Frauen der deutschen Minderheit in die Politik drängen. „Dabei kann eine kluge Frau heute wirklich viel erreichen“, sagt Ronin. Trotzdem sei es nicht einfach, sich in dieser Männerdomäne durchzuboxen, dazu benötige man Mut und Konsequenz – wer die nicht hat, werde scheitern.
Kopacz und Szydło sind Ausnahmen
Mit Róża Malik, Bürgermeisterin von Proskau in der vierten Kadenz, und Brygida Pytel, seit 13 Jahren Gemeindevorsteherin in Stubdendorf, hatte sich auch das Wahlkomitee der Deutschen Minderheit in der Oppelner Woiwodschaft Powerfrauen ins Boot geholt, die als Mitglieder der Minderheit ein Amt in der Mehrheitsgesellschaft bekleiden. Doch erwartungsgemäß machte Ryszard Galla das Rennen und die Vertretung der deutschen Minderheit im polnischen Sejm bleibt weiterhin Männersache. Enttäuschung über die wenigen Stimmen für die Frauen der Deutschen Minderheit in der Oppelner Woiwodschaft machte sich breit. „Szydlo und Kopacz sind nach wie vor Ausnahmen“, bedauert SKGD-Kulturreferentin Zuzanna Donath-Kasiura. Dabei sah es für die Frauen der deutschen Minderheit gut aus. Das Wahlkomitee setzte von 24 Kandidaten neun Frauen auf die Liste (37,5 Prozent) – Die rechtlich geforderte Frauenquote von 33 Prozent wurde damit sogar übertrumpft. Doch wenn die Wähler nicht mitmachen, nützt das alles nichts. „Daran sind auch unsere weiblichen Wähler Schuld, sie haben ebenso Männer gewählt. Wir müssen daran arbeiten, dass die Frauen mehr Vertrauen bekommen“, plädierte Donath-Kasiura.
Nachhilfe in Sachen Selbstvertrauen
Um anderen gegenüber vertrauenswürdig zu sein, müsse man zuallererst in sich selbst Vertrauen haben, sagt die Psychologie. Doch genau daran hapere es bei vielen Frauen der deutschen Minderheit, meint das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit (HDPZ). Einer nicht repräsentativen Umfrage zufolge hätten Frauen Angst davor, politische Ämter zu bekleiden, es fiele ihnen schwer, sich auf der von Männern dominierten politischen Bühne zu behaupten. Deshalb organisiert das HDPZ seit drei Jahren einen Selbstverwirklichungsworkshop für verunsicherte Frauen, die in ihrem DFK aktiver auftreten möchten. „Der Bedarf ist da und die Nachfrage groß“, bekräftigt Projektleiterin Magdalena Kubica.
Dass nur wenige Frauen über ihren DFK hinaus aktiv sind, bedauert auch SKGD-Chef Rafał Bartek, er sähe gern mehr Frauen der Minderheit auf politischen Posten. „Wenn Frauen etwas in die Hand nehmen, klappt das häufig besser als bei den Männern, weil sie verständiger und kompromissbereiter sind. Das löst weniger Konflikte aus.“
In vier Jahren wird es die nächsten Parlamentswahlen in Polen geben. Dann wird sich das Wahlkomitee erneut die Gretchenfrage stellen: Wer soll unsere Anliegen im Sejm und Senat vertreten? Im besten Fall wohl diejenigen mit den meisten Kompetenzen.
Marie Baumgarten