„Deutsche Regierung gelähmt“, ‚Deutschland in der Krise“ – so und ähnlich beschreiben die Medien die jüngsten Entwicklungen in den deutschen Behörden. Wir haben den Leiter der Strukturen der Deutschen Minderheit in Polen, den Vorsitzenden des VdG und der SKGD, Rafał Bartek, um einen Kommentar zu dieser Situation gebeten.
Bestätigt die Krise in der deutschen Regierung die kritischen Meinungen über die Inkompetenz der derzeitigen Ministerrunde?
Die Regierungskoalition in Deutschland hatte von Anfang an große Kommunikationsprobleme nach außen, aber, wie sich herausstellt, auch mit der Kommunikation innerhalb der Koalition. Die deutsche Öffentlichkeit war für Informationen über aufeinanderfolgende Krisengipfel und endlose verbale Scharmützel zwischen den Koalitionspartnern immer weniger empfänglich. Der Zeitpunkt der bevorstehenden Bundestagswahl, aber auch die Tatsache, dass die Parteien der Regierungskoalition bei den letzten Landtagswahlen sehr schlecht abgeschnitten haben, ließen die Spannungen zwischen den Koalitionspartnern noch weiter eskalieren und führten schließlich zum Bruch der Koalition.
Glauben Sie, dass Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Abstimmung im Bundestag ein Vertrauensvotum erhalten wird?
Meiner Meinung nach, aber auch nach Meinung von Beobachtern, gibt es dafür nicht die geringste Chance. Entscheidend sind die Zahlen und die Anzahl der Sitze im Parlament, und davon hat die Koalition nur noch aus SPD und Grünen einfach zu wenig. Die anderen Parteien haben kein Interesse daran, dass Olaf Scholz Kanzler bleibt.
Welche Szenarien sehen Sie für die deutsche Regierung in den nächsten Wochen und Monaten?
Eigentlich befinden wir uns ja schon im Wahlkampf. Jeder Schritt der Regierung und der Opposition wird schon jetzt im Hinblick auf die Wahl, die Erwartungen der Bevölkerung und die aktuellen Umfragen unter die Lupe genommen. Und das ist eine schlechte Nachricht, denn es gibt keine Möglichkeit mehr, langfristig zu planen.
Was könnten diese Verwerfungen in der deutschen Regierung künftig für die deutsche Minderheit in Polen bedeuten?
Kurzfristig bedeutet es für uns eine Menge Turbulenzen, denn das Fehlen eines verabschiedeten Haushalts für 2025 führt dazu, dass wir mit einem sogenannten vorläufigen Haushalt umgehen müssen. Dieses Instrument, das wir bereits aus der Vergangenheit kennen, hat erhebliche Grenzen und bedeutet, dass wir neue Projekte und neue Initiativen vorerst vergessen können. Hinzu kommt, dass unsere politischen Partner bereits mit dem Wahlkampf beschäftigt sein werden und selbst unsicher über ihre Zukunft sind. Wir wissen zum Beispiel auch schon, dass der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit, der langjährige Bundestagsabgeordnete Dietmar Nietan, den wir gut kennen und der uns gut kennt, gar nicht mehr kandidieren will. Es liegen also viele Unwägbarkeiten vor uns, die für Minderheiten nie gut sind. Auf der anderen Seite müssen wir die ganze Situation aber auch als eine Art Chance begreifen, denn Neuwahlen sind auch ein neuer Anfang und eine Chance dafür, dass die künftige Koalition uns und unsere Bemühungen um den Erhalt der deutschen Identität, Kultur und Sprache noch besser wahrnehmen wird. Dazu müssen wir aber selbst aktiv bleiben, d.h. wir müssen z.B. von unserem aktiven Wahlrecht Gebrauch machen, wobei die Grundvoraussetzung ist, dass wir einen gültigen deutschen Personalausweis haben!
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Anita Baraniecka