Mit Dietmar Nietan, MdB (SPD), dem Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit, sprach Andrea Polanski über die Landtagswahlen in Ostdeutschland, die wachsende Popularität der Alternative für Deutschland (AfD) und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Bilanz der „Ampel“-Koalition.
Bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg beobachten wir eine wachsende Popularität der AfD und des BSW. Wo sehen Sie die Gründe für die Popularität dieser zwei Parteien?
Die Popularität der AfD und BSW resultiert aus dem Gefühl zunehmender Unsicherheit in einer globalisierten Welt voller Krisen. Populisten wie diese Parteien nutzen die Ängste der Menschen, indem sie einfache Antworten auf komplexe Probleme geben, ohne echte Lösungen zu bieten. In Ostdeutschland besteht der Eindruck, die Wiedervereinigung sei eher ein Anschluss der DDR an die BRD gewesen, bei dem viele Errungenschaften der DDR ignoriert wurden. Diese historischen Ressentiments verstärken die ohnehin bestehenden Sorgen und begünstigen den Erfolg von AfD und BSW in der Region.
Welche Lehren ziehen die deutsche Regierung und die SPD daraus? Welche Maßnahmen sind geplant, um dem weiteren Einflusszuwachs dieser Parteien entgegenzuwirken, insbesondere im Hinblick auf ihre euroskeptischen und nationalistischen Forderungen?
Die Lehre für die deutsche Regierung und die SPD ist, dass sie den Menschen vermitteln müssen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden, ohne populistischen Forderungen nachzugeben. Besonders bei Themen wie Migration und Integration geht es darum, bestehende Gesetze besser anzuwenden und mehr Kontrolle zu zeigen, ohne jedoch Ängste und Ressentiments zu schüren. Die SPD will zeigen, dass sie die Probleme anpackt, ohne sich von Wahlerfolgen populistischer Parteien treiben zu lassen. Wichtig ist, realistische Lösungen anzubieten und klarzumachen, dass nicht alle Probleme sofort gelöst werden können.
Glauben Sie, dass der Erfolg dieser Parteien die deutsch-polnischen Beziehungen beeinflussen wird, sowohl auf internationaler als auch auf lokaler Ebene, insbesondere in den Grenzregionen?
Ja, das tue ich. Beide Parteien sind kritisch gegenüber der Europäischen Union und fördern nationalistischen Egoismus, was die Zusammenarbeit zwischen Ländern erschwert. Zudem gibt es Berührungspunkte zwischen polnischen Nationalisten und der AfD, obwohl letztere eine fragwürdige Geschichtspolitik verfolgt, die deutsche Verbrechen im Zweiten Weltkrieg relativiert. Nationalismus in beiden Ländern gefährdet daher die internationale Kooperation und das gegenseitige Verständnis.
Die AfD und das BSW haben insbesondere in den Grenzregionen zu Polen starken Rückhalt. Haben Sie als Beauftragter spezifische Gründe für diese Entwicklung beobachtet? Ist in diesen Regionen möglicherweise etwas schiefgelaufen?
Mir liegen keine spezifischen soziologischen Untersuchungen vor, aber ich denke nicht, dass die Nähe zu Polen oder zur Grenze ausschlaggebend ist. Vielmehr spielt das gefühlte Abgehängtsein der ländlichen Räume eine Rolle. Populisten nutzen gezielt das Gefühl, dass die ländliche Bevölkerung im Vergleich zu den urbanen Regionen weniger beachtet wird. Probleme wie beispielsweise Krankenhausschließungen sind in dünn besiedelten Gebieten besonders spürbar. Daher sehe ich die Wahlerfolge der AfD und des BSW eher als Ausdruck dieser ländlichen Herausforderungen.
Nietan: „Die aktuelle polnische Regierung unter Premierminister Tusk zeigt eine mutige und europafreundliche Politik.“
Auf polnischer Seite sehen wir eine zunehmend pro-europäische und offene Politik, während auf deutscher Seite nationalistische Tendenzen zunehmen. Wie, denken Sie, könnten diese Unterschiede die zukünftigen Beziehungen im lokalen Grenzraum beeinflussen?
Ich sehe das nicht so, denn die Menschen in der deutsch-polnischen Grenzregion, die sich seit Jahrzehnten für die Zusammenarbeit engagieren, lassen sich von der AfD nicht aufhalten. Gerade viele Kommunalpolitiker demokratischer Parteien arbeiten eng über die Grenze hinweg zusammen, und das wird auch so bleiben. Natürlich, wenn nationalistisches Gedankengut auf kommunaler Ebene an Einfluss gewinnt, könnte das langfristig Auswirkungen haben. Doch die letzten acht Jahre PiS-Regierung in Polen haben gezeigt, dass Zivilgesellschaft und lokale Ebenen relativ immun gegen solche Strömungen sind.
Bis zur Bundestagswahl ist es nur noch ein Jahr, und die aktuelle Regierungskoalition ist fast drei Jahre im Amt. Wie bewerten Sie die bisherige Bilanz der „Ampel“-Koalition in diesen schwierigen Zeiten?
Die „Ampel“-Koalition hat in kurzer Zeit viele ihrer Wahlversprechen umgesetzt, allerdings wurden diese Erfolge durch handwerkliche Fehler wie beim Heizungsgesetz und ständige Koalitionsstreitigkeiten überschattet. Statt die Erfolge wahrzunehmen, verbinden viele Menschen die Ampel eher mit unnötigen politischen Auseinandersetzungen. Trotz einer sachlich positiven Bilanz, etwa in der Krisenbewältigung während der Corona- und Energiekrise, haben Kommunikationsfehler das Vertrauen in die Regierung geschwächt. Nun ist es wichtig, statt Parteienstreit den Fokus auf gemeinsame Lösungen im Interesse der Bürger zu legen.
Wie bewerten Sie die Polenpolitik der aktuellen Regierung. In welchen Bereichen sehen Sie Potenzial für eine intensivere deutsch-polnische Zusammenarbeit?
Die aktuelle polnische Regierung unter Premierminister Tusk zeigt eine mutige und europafreundliche Politik, trotz der Vorwürfe der PiS. Bei den Regierungskonsultationen im Juli wurde das Interesse an einer vertieften Zusammenarbeit mit Deutschland deutlich, insbesondere in Bereichen wie grenzüberschreitender Zusammenarbeit, Zivilgesellschaft, Sicherheitspolitik und der Aufarbeitung deutscher Verbrechen in Polen. Deutschland muss diese historische Chance nutzen, da sich beide Länder in der Sicherheitsfrage einig sind. Wichtig wären schnelle Entscheidungen, etwa für ein Polendenkmal und humanitäre Gesten gegenüber den letzten Überlebenden des deutschen Terrors in Polen. Auch die Unterstützung Polens an der NATO-Ostflanke sollte verstärkt werden. Neben Verteidigungsausgaben geht es aber auch um konkrete Sicherheitsmaßnahmen, etwa im Bereich der hybriden Kriegsführung. Zudem muss Deutschland Polens Beitrag zur Sicherung der EU-Außengrenze stärker anerkennen und eine empathische Politik verfolgen, die den Einsatz Polens wertschätzt.