Eine gelungene Arbeit hat viele Mütter. Auch am 8. April, als Chantal Stannik, die Kulturmanagerin des Instituts für Auslandsbeziehungen beim Verband der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren, und Olga Żmijewska, die Gründerin und Vorsitzende der Stiftung „Kunst der Freiheit“ in Hirschberg/Idzbark die Werkstatt „postdeutsch/wiedergewonnen“ organisierten. Ort war die Woiwodschaftsbibliothek in Allenstein, Zielgruppe waren Studierende der Germanistik an der Ermländisch-Masurischen Universität in Allenstein.
Neben den beiden Hauptorganisatorinnen waren auch noch Dr. Barbara Sapała von der Germanistik sowie Martyna Chrzanowska vom Projekt „LernRAUM.pl“ und der Bibliothek des Goethe-Instituts an der Woiwodschaftsbibliothek am Unterfangen beteiligt. Acht Studentinnen fanden den Weg in die Arbeitsräume der Bibliothek am Marktplatz in Allenstein und stellten sich der ungewohnten Geschichte ihrer regionalen Heimat.
Alle Wege führen – zum Thema
Es war ein vielfältiges Programm, das sie erwartete. „Wir hatten die soeben hier eröffnete Ausstellung von Olga zum Thema ‚postdeutsch/wiedergewonnen‘ mit Bildern aus Ermland und Masuren als einen Startpunkt, Karolina Kuszyks Buch ‚In den Häusern der Anderen‘ als literarischen Ansatz sowie ein Mosaik aus Postkarten und ein Brainstorming zur deutschen Minderheit“, fasst Chantal Stannik es grob zusammen. Eine erste Überraschung war für die Organisatorinnen direkt zu Beginn, dass den Studentinnen die beiden Begriffe aus dem Titel von Werkstatt und Ausstellung fremd waren. „In Deutschland wird das nicht unterrichtet, also kannte ich das nicht, aber anscheinend spielt ‚wiedergewonnen‘ auch in Polen keine Rolle mehr“, wunderte sich Chantal Stannik.
Zum einen mag es positiv sein, dass dieser politisch überladene Begriff verschwindet, andererseits schwindet dadurch das Bewusstsein, dass die Region einmal zu Preußen gehörte, und das Wissen um die Herkunft der deutschen Minderheit und deutscher kultureller Hinterlassenschaften. Um so wichtiger war die Landkarte der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren mit den Organisationen der deutschen Minderheit der Region, die sich die Studentinnen erarbeiteten. Fabienne Golc aus dem vierten Semester Germanistik hat bei sich zuhause auch einige Gegenstände aus deutscher Zeit: „Bei Freunden gibt es kleine Dinge, von denen ich weiß, dass sie immer hier waren und hier bleiben. Bei mir ist das ein silberner kleiner Besen für den Tisch, von dem ich nicht weiß, wie er richtig heißt.“
Natur, Umwelt und Zuhause
Auch an der Architektur in Allenstein oder Wartenburg/Barczewo, wo Fabienne Golc zuhause ist, ist die Vergangenheit zu erkennen. „Wenn man es weiß, sieht man es“, so die Studentin der Germanistik. Viel wichtiger waren ihr und ihren Kommilitoninnen jedoch die Natur- und Landschaftsmotive, die Olga Żmijewska auf den Bildern ihrer Ausstellung und den Postkarten für das Mosaik verewigt hat. Die Natur vor allem des Ermlands. Die typischen sanften Hügel, die Seen, die Weite – und Pferde. Damit können sie sich identifizieren, das ist nah, riecht geradezu nach Urlaub und passt in der Stimmung zu ihrer aktuellen Arbeit über Literatur der verlorenen Heimat, nach der sich die Menschen sehnen.
Es schwindet das Bewusstsein und das Wissen, dass die Region einmal zu Preußen gehörte.
Die Weitergabe des Wissens, dass diese Ansichten auch für Menschen anderer Nationen eine kleine Heimat geworden sind, war Olga Żmijewska ein wichtiges Anliegen: „Sie sollten sich bewusst sein, dass nicht erst seit Kurzem, sondern schon nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Aktion ‚Weichsel‘ Ukrainer hier gelandet sind und die Region mitgeprägt haben.“ Und dass diese kulturelle Vielfalt sogar dazu führte, dass das Amt eines Bevollmächtigten für Minderheitenfragen eingerichtet wurde – als Einziges in Polen.
Die Motive ihrer Bilder wählt Olga Żmijewska bewusst zeitlos: „Sie könnten auch vor 100 Jahren aufgenommen worden sein. Ich will mit ihnen zeigen, das Landschaft an keine Nation gebunden ist, sie existiert einfach. Andererseits gibt es Bindungen, denn es hängt von der Kultur ab, ob und wie Felder bestellt werden, wie sie geteilt werden oder welche Größe sie haben.“ Fabienne Golc jedenfalls kommt bei der Ansicht dieser Photographien für sich zu einer wichtigen Erkenntnis: „Diese Ansichten kenne ich aus meiner Kindheit. Sie sind typisch und werden immer hier sein. Ich würde sagen, das hier ist mein Zuhause, meine kleine Heimat.“ Wie schon anfangs gesagt: eine gelungene Arbeit hat viele Mütter.
Uwe Hahnkamp