Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Schrittgeber der Beziehungen

 

Mit Martin Kremer, dem Deutschen Generalkonsul in Breslau, sprach Rudolf Urban über die deutsch-polnischen Beziehungen und die Bedeutung der deutschen Minderheit.


Sie sind zwar erst ab dem Spätsommer Generalkonsul in Breslau, waren davor aber Gesandter an der Deutschen Botschaft in Warschau. Wie haben Sie also das Jahr 2022 in Polen erlebt?

In der Tat kenne ich Polen schon ein wenig länger. Aber auch ich habe die Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf unsere bilateralen Beziehungen nicht vorhergesehen. Am 24. Februar hat sich wirklich alles verändert, was mit Russland zu tun hat. Polen ist jetztein Frontstaat und beeindruckend vorangeschritten,sowohl bei der Aufnahme der ersten Welle der ukrainischen Flüchtlinge wie auch bei der militärischen Unterstützung für die Ukraine.
Es sind dabeigrundsätzliche Fragen zwischen unseren beiden Ländernzu Tage getreten,darunter die nach dem künftigen Verhältnis gegenüber Russland. Ich will nichtverhehlen, dass wir in Warschau, aber auch im ganzen Land, als Deutsche zunächst sehrkritisch wahrgenommen wurden.Man hat uns immer wieder gefragt, wie uns eine solche Fehleinschätzung gegenüber Russland passieren konnte. Ich denke aber, wir haben zunehmend erklären und verdeutlichen können, dass wir eine „Zeitenwende“ in unserer Politikvollzogen haben, dass wir jetzt Sicherheit vor und nicht mehr mit Russland anstreben. Wir brauchen natürlich Zeit, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Wir müssen uns in Deutschland und in Berlin immer wieder selbstkritisch fragen, wie können wir bestehende Befürchtungen inPolenwiderlegen? Wir sind inzwischen sehr gut, was die Unterstützungder Ukraine anbelangt, aber ich gebe gern zu, dass Deutschland seine Zeitenwende zunächst eher als Tankerdenn als Schnellboot begonnen hat.

Insgesamtwürde ich sagen, es war ein Jahr, in dem wir neue bilaterale Herausforderungen bekommen haben. Aber wenn wir dieSchwierigkeiten, die sich dabei aufgetan haben, überwinden, können wir künftig besser gemeinsamProbleme lösen.

Generalkonsul Martin Kremer (rechts) im Gespräch mit dem Chefredateur des Wochenblatt.pl, Rudolf Urban

Für die deutsche Minderheit stand das Jahr 2022 im Zeichen der Mittelkürzungen für den minderheitensprachlichen Deutschunterricht an polnischen Schulen. Diese Kürzungen wurden beschlossen, weil polnische Politiker meinen, es gebe keine Symmetrie in den deutsch-polnischen Beziehungen. Wie sehen Sie das?

Symmetrie ist kein Begriff, der uns bei der Lösung vonSachfragen voranbringt. Ich weiß, dass es diese Interpretation gerade im Bildungs- und im Außenministerium in Warschau gibt, aber wir müssen jetzt daran arbeiten, dass wir politische Lösungen für Zusammenhänge finden. Der Koordinator für deutsch-polnische zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit, Dietmar Nietan,hat bei der jüngsten Bereinigungssitzung zum Bundeshaushalt erreicht, dass das Kompetenz- und Koordinationszentrum Polnisch in Marienthal (KoKoPol) zusätzliche Mittel für die Ermittlung des Bedarfs an Polnischunterricht in Deutschland erhält. Das ist eine Möglichkeit, wie man den politischen Zusammenhang konstruktiv angeht, ohne dass wir die Konstruktion einerSymmetrieoder Asymmetrie brauchen. Umgekehrt heißt dies aber auch, dass der Deutschunterricht für die deutsche Minderheit nichtdiskriminatorisch gekürzt werden darf, sondern auch dort im Sinne einer politischenLösung pragmatisch herangegangen wird und Mittel weiter zur Verfügung stehen.

Die deutsche Minderheit kann sich immer auf die Bundesregierungverlassen. Wir setzen uns stetsfür eine europäische Perspektive ein und stehen zu Handlungsbedarf auch in Deutschland, wo er erforderlich ist.

Paradoxerweise müsste man sagen, dass das Problem der Mittelkürzungen der deutschen Minderheit geholfen hat, in der bundesdeutschen Politik sichtbarerzu werden.

Wenn der Schutz von Minderheiten nicht schon ein wichtiges Anliegen für die bundesdeutsche Politik wäre, wäre dies in der Tat ein paradoxer Effekt. Wenn man dieser Logik folgt, würdeim Übrigen eine deutschlandkritische Politik in Warschau möglichweise genau dasGegenteilbewirken, weil sich die Kräfte zusammentun, die das Erreichte bewahren und verbessern wollen. Ich glaube, die deutsche Minderheit ist jetzt in ganz Polen ein geforderter Akteur. Wir sollten die Chancen aus den bedauerlichen Entwicklungen nutzen und daraus eineVorwärtsstrategie entwickeln, in der sich die deutsche Minderheit als Brückenbauer und Schrittgeberin den bilateralen Beziehungenversteht.

Neben der Problematik des Deutschunterrichts gab es für die Minderheit aber in diesem Jahr einiges zu feiern: das VII. Kulturfestival der Deutschen in Breslausowie30 Jahre BJDM. Wie bewerten Sie die Aktivitäten der deutschen Minderheit?

Ich bewerte diese sehr positiv und auch da haben wir eine interessante Entwicklung. Angesichts des schwierigen Umfeldes, das wir in unserenbilateralen Beziehungen haben, nehmen solche Veranstaltungen, wie die Jugendkonferenz der deutschen Minderheit in Kreisau den Charakter einer Diskussion zwischen Deutschland und Polen ein.D.h.,diese kulturellen und politischen Aktivitäten gerade der jungen deutschen Minderheit helfen uns,Sprachlosigkeit in den deutsch-polnischen Beziehungen zu überwinden.
Ich war deshalb sehr begeistert vom Kulturfestival, vor allem aber davon, was die junge deutsche Minderheit macht. Dadurch bekommen wir Unterstützung bei der Bewahrung und Entwicklung unserer Beziehungen.

Bald beginnt ein neues Jahr, ein Jahr der Parlamentswahl in Polen. Haben Sie Angst vor dem Wahlkampf hierzulande? Wir können davon ausgehen, dass Deutschland weiterhin für vieles der Prügelknabe bleibt.

Natürlich habe ich persönlich die Befürchtung, dass der Wahlkampf stark polarisieren wird, schon bei der letzten Präsidentschaftswahl gab es starke deutschlandkritische Bezüge. Gleichzeitig habe ich aber einen „Optimismus des Willens“. Der Wahlkampfist eine Chance für uns zu verdeutlichen, wie wir uns eine gute Nachbarschaft vorstellen. Gerade hier im Westen des Landes, in unserem Amtsbezirk haben wir eine Überfülle an positiver Kooperation. Wir können hier immer wieder erklären, dass wir in grundsätzlichen Fragen derGeschichtevielleicht noch zueinander finden müssen, wir aber ein solides Fundament der Zusammenarbeit haben, das immer wieder konkrete Ergebnisse ermöglicht, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Zivilgesellschaft. Wir können hier immer wieder verdeutlichen, dass es eine Wirklichkeit jenseitsdes Wahlkampfes gibt.

Was erwarten Sie persönlich vom Jahr 2023?

Ich erhoffe mir, dass ich zusammen mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Generalkonsulat und im Konsulat in Oppeln noch mehr in der Region ankomme, noch mehr Kontakte aufgreifen kann, noch mehr das eine oder andere mitbewegen kann. Vor allemerhoffe ich mir, dass wir die gegenseitigen Beziehungen durch ganz konkrete Projekte immer wieder voranbringen können.

Ich habe mir zum Ziel gesetzt, regelmäßig bei der deutschen Minderheit zu sein und beimeinen anderen offiziellen Auftritten unbeschwert polnisch zu reden. Auch um zu zeigen, es gibt eine neue Form der Zusammenarbeit und dafür stehe ich auch persönlich.

Mir liegt sehr daran, dass wir die Chancen in der Region nutzen und die deutsche Minderheit ist für mich eine der ganz wichtigen Verbündetenbei dieser Arbeit. Ich möchte gern zusammen mit ihr das hohe Potenzial nutzen und auf diese Weise einen Beitragfür die Zukunftder deutsch-polnischen Beziehungen leisten.
Gute deutsch-polnische Beziehungen sind für uns in Deutschland so etwas wie Staatsräson. Polen ist jetzt der große Nachbar im Osten, den wir haben. Wir haben ganz einfach die Aufgabe,unszusammenzufinden und die Vorteile einer guten Nachbarschaft zu nutzen.

 

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