Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Therapie für die angeknackste Seele

Foto 1: Publikation über Deportation Deutscher in Polen nach Sibirien. Seit September 2015 erhältlich, GEM sp.yo.o. Gdańsk
Foto 1: Publikation über Deportation Deutscher in Polen nach Sibirien. Seit September 2015 erhältlich, GEM sp.yo.o. Gdańsk

Benedykt Reszka will eine Lücke schließen. Sie mit Wissen füllen. Und das nicht nur, weil Aufklärung in der Natur des Lehrers liegt. Für Benedikt Reszka, Chef der Deutschen Minderheit in Gdingen, ist Aufklärung Selbsttherapie. Ergebnis ist ein Buch über die Deportationen der Deutschen in Polen nach Sibirien, zu dem es nun die deutsche Übersetzung gibt.

 

Westpreußen 1945. Die Rote Armee rückt ein und mit ihr Tod und Terror. „Fast jede kaschubische Familie war Opfer russischer Gewalt, vor allem wollten sie alles vernichten, „schto germanskoje“ – „Was deutsch war“, berichtet Benedykt Reszka, der damals in Heidemühl (Borowy Młyn) lebt. „Es war eine schreckliche Zeit – und die hat ihre Spuren hinterlassen. Ich lebe bis zum Ende mit einem Trauma.“ Reszka ist damals zehn Jahre alt, die Bilder geschändeter Frauen verfolgen ihn bis heute. Genauso wie die Verschleppung seines Onkels in ein sowjetisches Gulag, weil der in der Wehrmacht diente. „Wie viele Tränen hat meine Mutter wegen ihres Bruders vergossen!“, sagt Reszka.

 

Doch Reszkas Onkel überlebt – weil er Tischler ist und in einer kleinen Manufaktur unterkommt, wo es jeden Tag eine warme Mahlzeit gibt. Vier Jahre nach Kriegsende wird er entlassen, seitdem ist er nicht mehr der selbe: „Er war verängstigt, entfremdet und abwesend“, sagt Benedykt Reszka von seinem Onkel. Über die Zeit im Gulag schweigt er. Kein Einzelfall. Bis in die Fünfzigerjahre sind Kriegserlebnisse und Deportationen nach Russland Tabuthemen, über die man selbst im Familienkreis nicht spricht. Einige, so wie der Onkel von Reszka, waren eingeschüchtert, andere verpflichten sich durch eine Einverständniserklärung, über ihre Erlebnisse nicht zu sprechen. „Deswegen weiß die heutige Generation so wenig darüber.“ Besonders als emeritierter Lehrer beklagt Reszka das Fehlen „sorgfältiger Untersuchungen“ und „breiter Literatur“ über Pommern, die bis hinter den Ural deportiert wurden. Deshalb nimmt Reszka die Sache selbst in die Hand und schreibt im Jahr 2011 das Buch „Czas Zła“ – seit September 2015 gibt es die deutsche Übersetzung „Zeit des Bösen“. Darin spricht er mit zahlreichen Zeitzeugen und stellt fest: Die Gespräche sind Therapie für die angeknackste Seele aus Kindheitstagen. Und weil sein Trauma immer ein bisschen kleiner wird, wenn er darüber redet, war der 81-Jährige vor Kurzem Gast in einer preisgekrönten Radiosendung über deutsche Schulen in Nordpolen nach dem Zweiten Weltkrieg (siehe unten).

 

Marie Baumgarten

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