Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Vielfältige Wenden im Blick

Es war ein bewusst sehr weit gefasstes Thema, das die Veranstalter des 6. Kongresses des Mitteleuropäischen Germanistenverbands (MGV) gewählt hatten. Unter dem Motto „Wende? Wenden!“ hatten der Verband und die beiden Lehrstühle für Germanistik der Universität Ermland-Masuren Ende September nach Allenstein eingeladen.

Im nächsten Jahr feiert der im Jahr 2003 in Dresden gegründete MGV sein 20-jähriges Bestehen. Er hat einige Wenden – wie die Erweiterung der Europäischen Union – mitgemacht, weshalb das von den Gastgebern vorgegebene Thema bereitwillig aufgegriffen wurde. „Aktuell prägen der Krieg in der Ukraine und die Lage des Deutschunterrichts in Polen unsere Debatten. Andererseits freuen wir uns über mehr als 20 neue Mitglieder, die uns hier beigetreten sind“, so die MGV-Vorsitzende Joanna Szczęk von der Universität Breslau. Außerdem stand am Ende des Kongresses die Mitgliederversammlung an.

Die Gastgeberinnen des MGV-Kongresses in Allenstein: Aneta Jachimowicz (links) und Anna Dargiewicz
Foto: Uwe Hahnkamp

Kinder der deutschen Wende
Für die Germanistik an der Universität in Allenstein ist der Kongress die Fortsetzung von zwei internationalen Konferenzen. 2014 hatten Wissenschaftler und Deutschlehrer auf Einladung des Lehrstuhls für Literatur und Kultur der deutschsprachigen Länder unter Aneta Jachimowicz „Imaginationen des Endes“ unter die Lupe genommen. „2016 haben wir dann zum 20-jährigen Bestehen der Germanistik eine Konferenz zum Thema ‚Anfang‘ organisiert“, sagte Anna Dargiewicz, die Leiterin des Lehrstuhls für deutsche Sprache, bei der Eröffnung des Kongresses. „Diesmal beleuchten wir Wenden zu verschiedenen Zeiten und unterschiedlichen Fragen“, erklärte sie.

Zentrale Wende für viele Deutsche ist die friedliche Revolution von 1989. Die Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Danzig, Cornelia Pieper, sei selbst ein „Kind der Wende“, wie sie in ihrem Grußwort sagte. Sie wies auf den deutschen Schriftsteller aus Danzig, Günter Grass (1927 – 2015), hin, der in seinem Leben viele Wenden erlebt und einige mitgestaltet hat. Auch über einen weiteren großen „Autoren der Wenden“, nämlich Siegfried Lenz (1926 – 2014), konnten sich die Teilnehmer des Kongresses informieren. Rafał Żytyniec, der Direktor des Historischen Museums in Lyck (Ełk), stellte die Ausstellung seines Museums mit dem Titel „Siegfried Lenz – Annäherungen“ vor, die während des Kongresses in der Universität gezeigt wurde.

Rezepte im Wandel
Mit der Sprache von Rezepten im Wandel der Zeit beschäftigte sich Jūratė Maksvytytė aus Kaunas in Litauen in ihrem Vortrag. Er reichte vom früher selbstverständlichen Wissen eines Kochbuchlesers, was ein „sommerlauwarmer“ Ofen bedeutet, über das genaue Gewicht eines litauischen, polnischen oder deutschen „svaras“, das nicht ganz richtig mit „Pfund“ übersetzt wird, bis hin zu einem in Litauen bis heute bekannten Topf, dessen Bezeichnung aber aus dem digitalisierten Wörterbuch verschwunden ist. „Linguisten arbeiten wie Archäologen. Sie graben Wörter aus, schauen, wer wo und was in die Sprache gebracht hat – und welche Ausdrücke überlebt haben“, erklärte Jūratė Maksvytytė ihren Ansatz.

Jūratė Maksvytytė bei ihrem Vortrag
Foto: Uwe Hahnkamp

Neben diesem praktischen, fachübergreifenden Thema gab es in dem intensiven Programm für die etwa 150 Teilnehmer des Kongresses eine breite Auswahl an Wenden in Pädagogik, Übersetzung, Literatur, Gesellschaft, Geschichte und Politik unter dem Blickwinkel der Germanistik. Das Gebäude der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Ermland-Masuren summte also auch zum Ende der vorlesungsfreien Zeit von fliegenden Gedanken.

Uwe Hahnkamp

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