Mit Rafał Bartek, der von 2008 bis 2015 als Geschäftsführer des Hauses der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit (HDPZ) einer der Verantwortlichen für die Gestaltung und den Inhalt der Schlesienseminare in Groß Stein war, sprach Rudolf Urban.
Herr Bartek, war das diesjährige Thema des XX. Schlesienseminars “Modelle zur Geschichtsbewältigung in Mittel- und Osteuropa seit 1989” nicht ein wenig zu schwierig für einen “normalen” Besucher, weshalb die Teilnehmerzahl in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr kleiner gewesen ist?
Wenn Sie mich nach den Teilnehmerzahlen fragen, muss man berücksichtigen, dass wir zugunsten des Kulturfestivals das Seminar um einen Tag gekürzt haben, weshalb wohl allgemein gesehen weniger Besucher kamen. Aber es sind doch nicht die Zahlen, die für die Organisatoren wichtig sind, sondern die Tatsache, dass bei den Schlesienseminaren wichtige und aktuelle Themen angesprochen werden und dass diese dann auch in der breiten Öffentlichkeit gesehen werden.
Das Thema Geschichtsbewältigung gehört da natürlich zu den wichtigsten und zwar nicht nur für Polen.
Ja, aber es scheint so, als ob vor allem bei uns in Polen die Geschichte eine große Rolle spielen würde und wir wissen, wie schwer es uns, der Minderheit, fällt, manche Themen in die öffentliche Debatte einzubringen und darüber konstruktiv zu sprechen. Ob es in der Schule die Geschichte der Deutschen nach 1989 ist oder irgendeine Gedenktafel, die man im öffentlichen Raum anbringen will – alles wird emotionsgeladen diskutiert. Und da ist der Blick über den eigenen Tellerrand sehr wichtig, um zu erfahren, wie andere Länder mit der Geschichte umgehen.
Ich glaube, wir konnten anhand von Beispielen zeigen, dass man vor fundierten geschichtlichen Tatsachen keine Angst haben muss und sie nicht unter den Teppich kehren sollte. Denn dann ist am Ende jede Seite unzufrieden: Die Minderheit fühlt sich nicht gehört und nicht verstanden und die Mehrheit verfällt in Stereotypen, weil sie halt kein neues Wissen über die Deutschen bekommt.
Sie haben eine Podiumsdiskussion geleitet, an der u.a. Vertreter aus Kroatien und Ungarn teilgenommen haben. Das war also der Blick über den Tellerrand?
Ja, es war einer der Blicke. Vor allem das Beispiel Ungarn zeigt, dass man mit der Geschichte ganz anders umgehen kann. Dieses Land hat sich z.B. in den letzten Jahren ganz anders mit dem Thema Vertreibung auseinandergesetzt: Nicht nur auf Parlaments- und Regierungsebene wurde die Vertreibung von Deutschen als Verbrechen angeprangert, sondern man hat auch ein Denkmal, das an die Vertreibung der Deutschen erinnert, aufgestellt. Und nun steht es und erinnert jeden Vorbeigehenden an einen Teil der tragischen Geschichte. Die Gesellschaft war bestimmt gespalten, doch der ungarische Präsident und das Parlament sagten, es sei nun einmal eine geschichtliche Tatsache, die wir heute 70 Jahre später nicht ändern können. Wir erinnern aber daran um der Zukunft willen.
Mit einer solchen Herangehensweise hätte man in Polen sicher ein großes Problem. Denn über die Vertreibung wird ja erst seit einigen Jahren offen gesprochen und Gesetze oder Beschlüsse, die dies anprangern, sind wohl noch lange unvorstellbar.
Das Beispiel Ungarn zeigt, wie unterschiedlich die Gesellschaften mit der Geschichte umgehen, wie sehr wir in Polen noch Gefangene der Geschichtsschreibung von vor 1989 sind und wie viel weiter man an mancher Stelle in anderen Ländern ist.
Nun haben sie das HDPZ verlassen und widmen sich zumindest teilweise anderen Aufgaben. Was geben sie ihrem Nachfolger im Bezug auf die Schlesienseminare mit auf den Weg?
Vor allem organisatorisch haben wir in den letzten Jahren vieles bei dem Seminar umgestellt. Am deutlichsten sieht man das an der größeren Zahl von kürzeren Referaten, wodurch wir das Seminar gewiss belebt haben.
Als Rat kann ich nur weitergeben, dass vor allem eine möglichst frühe Themenplanung des nächsten Seminars der Schlüssel zum Erfolg ist. Wir haben uns mit den Partnern des Schlesienseminars, weil es ja nicht nur vom HDPZ organisiert wird, sehr früh zusammengesetzt und uns Gedanken gemacht, welches Thema aktuell oder bedeutend ist, um sich dem in Form eines ganzen Seminars zu widmen. Wenn man dann auch rechtzeitig die Ausschreibung verschickt, melden sich die Referenten von alleine und zwar nicht nur hier aus der Region, sondern aus ganz Polen und dem Ausland. Und das hebt natürlich das Niveau der Konferenz und erweitert das Themenspektrum. Ich finde das ist ein guter Weg für die Zukunft.