Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Von Kette, Kamm – und einem Hahn

Das Projekt „LernRAUM.pl“ der deutschen Minderheit in Polen ist immer für Überraschungen gut. So fand am 19. November im Allensteiner Haus Kopernikus, dem Sitz der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit (AGDM), ein Workshop mit dem Titel „Weben – Ein vergessenes Handwerk“ statt. Dabei wurde nicht nur theoretisches Wissen geboten, sondern die Teilnehmerinnen konnten das Weben direkt in der Praxis testen.

Schlagen wir das „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz auf, begleiten wir die Hauptperson Zygmunt Rogalla durch seine Kindheit – und zu seinem Wunsch, Teppiche zu weben. Dann stehen wir mit ihm vor einer Gerätschaft, je nach Größe ein Webstuhl oder ein Webrahmen, auf dem wie von magischer Hand Muster entstehen – vorwiegend masurische unter der Hand der Teppichmeisterin Sonja Turk.

Theoretische Einführung am Webstuhl durch Renata Śliwka (2. v. r.)
Foto: Uwe Hahnkamp

Erklärungen der Webmeisterin

Über 100 Jahre später stehen zehn Personen im Bayerischen Saal des Hauses Kopernikus in Allenstein. Der Teppichweber Zygmunt Rogalla in der malerischen Hütte im masurischen Lucknow ist der nüchternen Atmosphäre des 21. Jahrhunderts gewichen, in das die Frauen verschiedenen Alters und ein Mann, ein einsamer Hahn im Korb, mit dem vergessenen Handwerk Weben etwas Wärme bringen wollen. „Weben auf dem Webrahmen ist eine alte ostpreußische Volkskunst, eine Handarbeitstechnik, die wir reaktivieren wollen“, beginnt Renata Śliwka von der AGDM den Workshop. Sie ist in der Handarbeitsgruppe des Vereins aktiv und dank der Werkwochen der Landsmannschaft Ostpreußen, die abwechselnd in Deutschland und in Polen stattfinden, in vielen Künsten bewandert.

Die Teilnehmerinnen um die Workshopleiterin Renata Śliwka (2. v. l.) beim konzentrierten Weben

Dann geht es in die Erklärung des vor ihr stehenden Mechanismus. Zwei Walzen an beiden Enden, die bei einer Webmaschine Kettbaum und Warenbaum heißen würden. Es geht um die Laufwege der Ketten, der senkrecht verlaufenden Fäden, durch die Augen und Litzen des Kamms bis zu ihrer Befestigung. „Nicht jede Wolle eignet sich für die Kettfäden“, erklärt Renata Śliwka. „Sie sollte fest gesponnen sein, sich nicht in einzelne Stränge auflösen. Sonst verfilzt sie.“ In Farben und Qualität vielfältige Wollen liegen in Knäueln bereit für die Arbeit, denn für die Schussfäden oder Schuss, also die waagrechten Fäden, ist die Anforderung nicht so streng.

Eigene erste Versuche im Rahmenweben

Die Schussfäden werden mit dem sogenannten Schiffchen oder Schützen quer zu den Kettfäden durch das „Fach“ geschossen. Dann wird der Kamm gehoben, wodurch sich die Kettfäden zueinander verschieben und ein neues Fach entsteht; das Schiffchen fährt wieder zurück, der Kamm wird gesenkt und es beginnt von vorn. Die Schussfäden werden mit dem Kamm fest zur Walze geschoben – so entsteht das Gewebe. „Je nach Wunsch und Können kann dabei letztendlich eine Mütze, ein kleines Armband, ein kleiner Teppich oder ein ostpreußisches Jurtenband entstehen“, macht Renata Śliwka den Teilnehmerinnen Mut und Lust auf mehr.

Auch Jugendliche probierten sich im Weben aus.
Foto: Uwe Hahnkamp

Was kompliziert klingt, ist bei der Arbeit selbst relativ einfach. Langwierig sind dagegen die Vorbereitungen der Ketten: Es gilt, die Fäden abzumessen, gleichmäßig zu schneiden, dann auf den Rahmen zu knoten, je zwei zusammengehörende Fäden durch die jeweils richtige Öffnung des Kamms zu bringen und dann gut festzulegen. Kein Wunder also, dass der große Webstuhl der AGDM, auf dem Zygmunt Rogalla kleine Teppiche hätte weben können, verwaist stehen bleibt und die Frauen sich lieber die Tischwebrahmen vornehmen.

Weben ist manchmal auch Fummelarbeit.
Foto: Uwe Hahnkamp

Die Gewebe wachsen, erste Farbwechsel und mutige Muster beginnen zu erscheinen, aber an diesem Samstag ist für alle Fantasien die Zeit dann doch zu kurz. Der Workshop, der dank der finanziellen Mittel des Bundesministeriums des Innern und für Heimat der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden konnte, macht bei den Teilnehmerinnen aber Hunger auf mehr. Ein Anstoß für eigene Aktivität, wie es ihn in einem Lernraum häufiger geben sollte.

Uwe Hahnkamp

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