Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Vor dem Vergessen bewahren

Der evangelische Friedhof in Giesmannsdorf bei Waldenburg diente der evangelischen Gemeinde bis 1945. Danach lag er jahrzehntelang ruiniert und verwahrlost brach und die zerstörten Grabsteine wurden von der Vegetation überwuchert. Der Wendepunkt kam 2015, als die Gemeinde als Eigentümerin des ehemaligen Friedhofsgeländes, es zum Verkauf anbot. Es stellte sich heraus, dass zwei Einwohner der Gemeinde daran interessiert waren, das Grundstück zu kaufen und die Nekropole zu renovieren.

Der evangelische Friedhof in Giesmannsdorf bei Waldenburg
Foto: Fundacja Anna

Oma zündete Kerzen auf deutschen Gräbern an

„Unsere Familie stammt nicht aus Giesmannsdorf, sondern aus der Gegend von Posen“, sagt Angelika Nolberczak, Eigentümerin des Friedhofs und Vorsitzende der Anna-Stiftung. „Meine Großeltern sind erst nach dem Krieg hierher, in die ‚Wiedergewonnenen Gebiete‘, gezogen. Wir haben auch keine deutschen Wurzeln, aber ich weiß, dass ein paar Jahre nach dem Krieg noch deutsche Familien im Dorf lebten. Meine Oma hatte ein gutes Verhältnis zu ihnen und ich weiß, dass sie nach der Ausreise der Deutschen oft Kerzen auf den Gräbern ihrer toten Verwandten anzündete.“
Der Friedhof war immer ein fester Bestandteil der Landschaft von Giesmannsdorf. Angelika Babula kennt ihn noch aus ihrer frühen Kindheit, denn die Schule, die sie besuchte, lag in der Nähe. Und sie erinnert sich, dass sie und ihre Mutter sich immer darüber beklagten, dass der Friedhof so vernachlässigt wurde…

Alle Arbeiten auf dem Friedhof werden in Absprache mit dem Denkmalschutzbeauftragten durchgeführt.
Foto: Fundacja Anna

Vor dem Verfall schützen

„Als ein Angebot zum Verkauf des Friedhofsgeländes für einen relativ geringen Betrag einging, beschlossen meine Mutter, Halina Bryk und ich, es zu kaufen. Sonst würde die Nekropole einfach aufhören zu existieren“, sagt Angelika Nolberczak. „Schließlich gibt es im früheren Ostpolen Gräber unserer Vorfahren – möchten wir, dass sie so aussehen? Es ist notwendig, die Erinnerung an die Menschen zu bewahren, die einst hier lebten, hier arbeiteten, Teil dieses Landes waren.

Mit als erstes wurde die Kapelle renoviert.
Foto: Fundacja Anna

Anna-Stiftung

Die neuen Eigentümerinnen des Friedhofs gründeten 2016 die Anna-Stiftung, deren Hauptziel die Rettung des evangelischen Friedhofs der ehemaligen Bewohner von Giesmannsdorf und der umliegenden Dörfer ist. Darüber hinaus dient die Stiftung der Verbreitung des Wissens über die Notwendigkeit, Spuren der Geschichte von Giesmannsdorf für künftige Generationen zu bewahren, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Im Weiteren unterstützt die Anna-Stiftung wissenschaftliche Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit der Geschichte der oben genannten Objekte im kulturellen Kontext Polens und sie fördert die Vertiefung und Popularisierung des Wissens über die Geschichte des Friedhofes, der lokalen Bevölkerung, ihrer Traditionen, Kultur und Bräuche.

Auf dem Facebook-Profil der Stiftung, die 1.700 Follower hat, ist zu lesen:

„Noch Ende 2015 war der Zustand der Stätte sehr deprimierend. Ein unüberwindbares Dickicht aus Unkraut und Bäumen wuchs auf dem Friedhof und die zerbrochenen Grabsteine waren von Erde und allgegenwärtiger Vegetation bedeckt. Nach jahrelanger mühsamer Arbeit gelingt es uns langsam, das Andenken und den Respekt vor den hier begrabenen Menschen wiederherzustellen. Die Grabsteine, die der Natur entrissen, gereinigt und wieder zusammengesetzt werden können, sind ein wunderschönes kulturelles Zeugnis unserer Region. Jeder von ihnen ist wunderschön verziert und einzigartig, und auch heute noch beeindrucken sie durch ihre perfekt ausgeführten Inschriften und ihr eindrucksvolles Design. Die steinernen Grabsteine aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die reich an Ornamenten und Symbolen sind, sind ein wunderbares Beispiel für Grabsteine mit Pflanzenmotiven, die hier eindeutig bevorzugt werden und die Symbolik des Todes und des Vergehens des menschlichen Lebens enthalten.“

Auf dem Friedhof werden mehrere Steinmetz-Workshops organisiert.
Foto: Fundacja Anna

Meister des Steins

„Wir haben die Steinmetze Szymon Modrzejewski und Dariusz Dembiński eingeladen, mit uns zu arbeiten“, berichtet Angelika. „Ihren Bemühungen ist es zu verdanken, dass weitere Grabsteine auf dem alten Friedhof in Giesmannsdorf zu neuem Leben erweckt werden. Szymon Modrzejewski leitet seit 2019 regelmäßig Freiwilligencamps mit uns, bei denen wir gemeinsam viele Grabsteine und Kreuze renoviert haben. Mit dem Verein MAGURYCZ ist er seit 35 Jahren aktiv und hat fast 3.000 Grabsteine und Objekte der kleinen Sakralarchitektur ehrenamtlich renoviert. Dariusz Dembiński, ein Steinmetzmeister, begleitet uns seit 2020 bei den Renovierungsarbeiten, und gemeinsam haben wir bereits mehrere Steinmetz-Workshops organisiert. Alle Arbeiten auf dem Friedhof werden in Absprache mit dem Denkmalschutzbeauftragten durchgeführt.“

Die Grabsteine sind ein wunderschönes kulturelles Zeugnis der Region.
Foto: Fundacja Anna

Nur die Erinnerung überlebt

„Die Arbeit auf dem Friedhof wurde zu einem spannenden Abenteuer, bei dem wir die Kulturlandschaft unseres Heimatdorfes entdeckten und kennenlernten. Die aufeinanderfolgenden Namen, Daten, Ortsnamen, Berufe und manchmal kurzen Lebensgeschichten auf den ausgegrabenen Grabsteinen bestärkten uns in der Überzeugung, dass nur die Erinnerung überleben wird“, erzählt Angelika Nolberczak. „Die Unterbrechung der traditionellen Bindungen und der Weitergabe von Generationen hat dazu geführt, dass dieser Ort im Bewusstsein der Dorfbewohner nicht mehr als Ort der Erinnerung funktioniert. Ohne Pfleger und verwüstet, war der Friedhof auch kein Grund zum Stolz. Meine Mutter und ich setzten uns das Ziel, ihn vor weiterem Verfall zu bewahren und ihm seine verlorene Würde zurückzugeben. Wir nahmen uns die Worte eines Redakteurs zu Herzen, dass ‚auch diejenigen, die auf niederschlesischem Boden in vergessenen und verfallenden Gräbern ruhen, ein wenig Respekt verdienen‘.“

Indem wir uns auf materielle Spuren der Vergangenheit beziehen, können wir unser historisches Wissen bereichern und ergänzen. Auf diese Weise schaffen wir eine emotionale Bindung an den Ort, an dem wir leben, und bauen eine regionale Identität auf.

Anita Baraniecka

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