Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Vor der Müllhalde retten (+Video)

Deportationen aus Oberschlesien in die UdSSR waren bis 1989 ein Tabuthema in Polen. Das im Bahnhofsgebäude in Radzionkau eingerichtete Dokumentationszentrum für Deportationen der Oberschlesier in die UdSSR im Jahre 1945 beschäftigt sich mit dem traurigen Kapitel der Geschichte Schlesiens.


Eine der Aufgaben des Zentrums ist, alle verfügbaren Materialien zu den Deportationen an einem Ort zu sammeln und Interessierten zur Verfügung zu stellen. Fortwährend nimmt das Zentrum Erinnerungsstücke und Dokumente, die von den Deportationen zeugen, entgegen. „Wir streben die Dokumentierung dieses Kapitels der Geschichte unserer Region an. Für die meisten Menschen, die hier wohnen, aber nicht nur für sie, ist es immer noch ein unbekannter Abschnitt der Geschichte. Darüber hinaus sind diese Gegenstände für viele nur überflüssige Platzhalter, ein alter Löffel, ein Koffer, ein Rasiermesser, die während der Gefangenschaft die einzigen Besitzstücke des Gefangenen waren. Die landen dann oft auf der Müllhalde. Und an solchen Orten wie unserem Zentrum können sie aufbewahrt und von Historikern, Forschern für Forschungs- und Dokumentationsarbeiten sowie für Bildungszwecke genutzt werden,“ erklärt Małgorzata Laburda-Lis vom Dokumentationszentrum für Deportationen der Oberschlesier in die UdSSR im Jahre 1945.

Die Erinnerungsstücke werden in Archiven aufbewahrt und für Sonderausstellungen und Forschungszwecke genutzt.
Foto: SJ

Jan Rataj hat sich mit einem Brief seines Vaters ins Deportationszentrum auf den Weg gemacht. „Mein Vater Franz wurde 1945 in die UdSSR deportiert. Ich war damals zwei Jahre alt und kann mich an nichts erinnern. Ich weiß nur, was mir meine älteren Geschwister und meine Mutter erzählt haben. Mein Vater hat eine schriftliche Aufforderung bekommen, dass er sich melden soll, also hat er es getan. Er ging zum Versammlungsort und kam nie wieder zurück nach Hause. Doch bevor wir in der Familie darüber gesprochen haben, vergingen Jahre. Meine Mutter sagte, sie wurde immer eingeschüchtert und hatte sehr lange Angst, darüber zu sprechen, was passiert ist“, erzählt Jan Rataj, der erst als Erwachsener die Geschichte seines Vaters erforscht hat. „Als ich erfuhr, dass es dieses Zentrum hier gibt, habe ich es besucht. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich hier viel mehr über meinen Vater erfahren habe als zu Hause. Beispielsweise, wann genau mein Vater gestorben ist und wo er begraben wurde“, so der 80-Jährige aus Czechowitz-Dzieditz. Ins Zentrum brachte er außer Fotos und der Geburtsurkinde seines Vaters einen besonderen Brief: „Mein Vater hat den Brief an uns geschrieben und als er mit dem Zug durch Beuthen fuhr, wo wir damals wohnten, hat er ihn aus dem Zug geschmissen. Den hat glücklicherweise jemand gefunden und meiner Mutter gebracht“ sagt Jan Rataj. Małgorzata Laburda-Lis bestätigt, dass oft auf diese Weise Briefe der Deportierten an die Familie gelangt sind.

Den Brief abgeben wollte Jan Rataj nicht: „Der Brief wurde kopiert und wird hier für zukünftige Generationen von der Geschichte Schlesiens zeugen. Diese Tragödie sitzt in mir bis jetzt. Das Original bleibt in unserer Familie“, betont Jan Rataj.

Manuela Leibig

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