Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Was Europa vom Fußball lernen kann

Nach der Europeada und der Fußball-Europameisterschaft erforscht Felix Werner, was der Fußball konkret zur Herausbildung eines europäischen Identitätsgefühls leisten kann. Darüber sprach er mit Dr. Arne Niemann, Professor für internationale Politik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.


Bei der Frage nach den Forschungsinteressen eines Politikwissenschaftlers werden die meisten wahrscheinlich eher weniger an Fußball denken. Was kann die Politikwissenschaft vom Fußball lernen?

Auf den ersten Blick scheint Fußball weit entfernt von den typischen Themen der Politikwissenschaft wie Wahl- und Einstellungsforschung, Politikanalyse und politische Theorie. Aber bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass Sport und besonders Fußball immer politisch sind. Fußball verbindet Menschen verschiedener Herkunft und sozialer Schichten durch die geteilte Begeisterung für den Sport. Er prägt lokale, regionale und, wie wir herausgefunden haben, sogar europäische Identitäten und kann so einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Organisierte Fanszenen sind eine der größten Jugendbewegungen in Deutschland und Europa, die in Zeiten abnehmender Mitgliedszahlen in Kirchen, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Institutionen einen wichtigen Orientierungspunkt bieten können. Darüber hinaus bietet der Fußball Einblicke in internationale Beziehungen. Organisationen wie die FIFA und die UEFA sind transnationale Akteure mit weitreichendem politischem Einfluss. Erstere umfasst sogar mehr Mitglieder als die Vereinten Nationen, die UEFA ist größer und vielfältiger als etwa die EU. Und schließlich kann der Fußball als Katalysator für den sozialen Wandel dienen. Im Fußball wird wichtige politische Bildungsarbeit für Toleranz, Inklusion und Geschlechtergerechtigkeit geleistet. Alle diese Dynamiken und Fragestellungen sind für die Politikwissenschaft relevant und interessant. Vielfältige politikwissenschaftliche Theorien und Methoden können auf den Fußball als Untersuchungsgegenstand angewendet werden.

Die jungen Spieler der Miro Deutschen Fußballschulen.
Foto: Bednarek Fotografia

Sie beschäftigen sich mit Fußball hauptsächlich im Kontext der europäischen Integration. In welcher Situation befindet sich dieser Prozess gegenwärtig und woran kann man das beurteilen?

In der Forschung sprechen wir von der Europäisierung des Fußballs. Damit ist gemeint, dass sich Institutionen, Strukturen und Abläufe im Fußball im Rahmen europäischer Integration wandeln. Dieser Prozess ist fortlaufend und betrifft viele verschiedene Bereiche. Das Paradebeispiel sind hier die UEFA-Klubwettbewerbe, durch die ein ligaähnliches System mit der Champions League als Kristallisationspunkt des europäischen Fußballs geschaffen wurden. Ein anderes Beispiel ist die Internationalisierung des Spielermarktes, die auf das sogenannte Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 1995 zurückgeht. Damals wurden Quoten für Spieler aus anderen EU-Ländern verboten, weil sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit einschränken. In der Folge mussten Verbände und Ligen entsprechende Beschränkungen für ausländische Spieler abschaffen. So ist es heutzutage für Fans in ganz Europa normal, dass ein großer Teil der Spieler aus anderen Ländern kommt. Oder denken sie an die Entstehung transnationaler Organisationen, welche sich im Zuge der zunehmenden europäischen Dimension des Fußballs logischerweise herausgebildet haben: etwa die European Club Association (ECA), European Leagues oder Football Supporters Europe. Sie versuchen, teilweise in gemeinsamen Allianzen, die Entwicklungen des europäischen Fußballs in ihren Interessen zu beeinflussen.

Für viele Fans in Europa ist es heutzutage ganz normal, dass ein großer Teil der Spieler aus anderen Ländern kommt.

Welchen Beitrag kann der Fußball gerade in einer Zeit, in der euroskeptische Einstellungen tendenziell zunehmen, zur Bildung einer gemeinsamen europäischen Identität leisten? Inwiefern spielt die Identifikation von Fans mit „ihren“ Vereinen dabei eine Rolle?

Der Verein mit lokaler, regionaler Verwurzelung ist nach wie vor der Kern jeder fußballbasierten europäischen Identität. Hier erfahren Fans von klein auf das gemeinsame Erlebnis, Singen, Feiern, Trauern, emotionale Bindung – und bestenfalls auch Teilhabe und Mitbestimmung. So prägt sich eine Fanidentität aus, die wiederum europäisch Wirkung entfalten kann, zum Beispiel wenn sich Fußballfans auf der Gemeinsamkeit des geteilten Fan-Seins über Ländergrenzen hinweg vernetzen, austauschen, Kontakt halten, oder auch gemeinsam handeln. Durch grenzüberschreitenden Austausch, Kontakt und Kooperation, aber auch einfach durch die Beschäftigung mit Europa im Kontext Fußball steigt die Identifikation mit Europa und bestenfalls auch der europäische Zusammenhalt. Dabei würde ich nicht von einer gemeinsamen europäischen Identität sprechen, sondern von europäischen Identitäten im Plural, die Fußballfans entwickeln. So verstehen sich Fußballfans als einer europäische Gemeinschaft von Fans zugehörig und schließlich als Europäerinnen und Europäer. Und das ist für den Zusammenhalt und die Unterstützung Europas essenziell.

In den Miro Deutschen Fußballschulen spielen auch Mädchen mit.
Foto: Bednarek Fotografia

In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Rassismus Skandalen im Fußball. Offensichtlich hat der Fußball auch das Potenzial, diese Integrationsprozesse zu behindern. Daher abschließend die Frage, welche präventiven Maßnahmen Sie den Entscheidungsträgern in der Politik und den Fußballverbänden empfehlen würden.

Rassismus, Homophobie, Sexismus – der Fußball selbst und seine Fans haben nach wie vor ein Diskriminierungsproblem. Wobei es mir wichtig ist zu betonen, dass das insgesamt gesehen von einer Minderheit ausgeht. Dennoch kann und muss mehr getan werden. Ein Ansatz ist die konsequente Verfolgung und Bestrafung der Täter. Das gilt sowohl auf den Rängen als auch auf dem Platz. Das bedeutet auch: Aktionsspieltage, Pressemitteilungen und Kampagnen dürfen keine Lippenbekenntnisse bleiben, auf Worte müssen Taten folgen. Hier sind Vereine und Verbände gefragt. Aber auch die Fans sind in der Verantwortung. Einerseits sollten sie von Vereinen und Verbänden eingebunden werden und gemeinsam für einen inklusiven Sport arbeiten. Andererseits müssen sie auch selbstregulierend nach Innen wirken, indem sie deutlich machen: „In unserer Kurve, in unserem Verein ist kein Platz für Diskriminierung“. In Deutschland und anderen Ländern haben wir in den vergangenen Jahren diesbezüglich zumeist positive Entwicklungen gesehen. Andernorts ist der Fußball für marginalisierte Menschen noch immer eine Bedrohung. Hier sind alle relevanten Akteure gefragt, jegliche Diskriminierungsformen vollumfänglich zu bekämpfen, damit alle Menschen von der positiven sozialen Kraft des Fußballs profitieren können.

Felix Werner

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