Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Weiter und schneller als alle anderen

Wer wandert, weiß, dass nach einer 25 km-Wanderung, spätestens nach einer 30 km-Wanderung nichts mehr geht – im wahrsten Sinne des Wortes. Bernd Kannenberg, der 1972 bei Olympia Gold errang, lief als erster Mensch 50 Kilometer in weniger als 4 Stunden. Am 13. Januar dieses Jahres ist der zähe Ostpreuße in Münster verstorben. Ein Rückblick auf den gebürtigen Königsberger, der als einer der wenigen den Untergang der Gustloff überlebte.

 

Der letzte Gang des großen, starken Mannes der Ausdauer“ titelte kurz nach dem Tod von Bernd Kannenberg die Internetseite gehsportnetzwerk.de. Gehen war und ist nach wie vor eine Randsportart in der Leichtathletik. Sie verlangt neben einem komplizierten Bewegungsablauf vor allem Ausdauer und Konzentration. André Höhne, bis 2012 der beste deutsche Geher der letzten Jahre, sieht Gehen als Kopfsport: „Wenn ab Kilometer 35 fast nichts mehr ging, habe ich Selbstgespräche im Kopf geführt und mich weiter gezwungen.“ Stützphase, Schwungphase, immer Bodenkontakt mit einem Fuß halten – im Rhythmus solcher Gedanken muss auch Bernd Kannenberg bei Olympia 1972 in München unterwegs gewesen sein. Bevor er allerdings Olympia-Geschichte schreiben sollte, hatte er zuvor allerdings die kürzere Olympia-Gehstrecke von 20 Kilometern schweren Herzens abbrechen müssen. Niemand rechnete also mit dem unbekannten Königsberger Kannenberg, als er ansetzte, den russischen Favoriten Wenjamin Soldatenko im 50 Kilometer Wettbewerb zu bezwingen. Und tatsächlich – Bernd Kannenberg, dem unbekannten Ostpreußen, gelang das Unglaubliche: er errang Gold und brach alle bisherigen Rekorde.

Geboren wurde er am 20. August 1942 in Königsberg. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war er mit seiner Großmutter und einer Cousine auf der Flucht an Bord der „Wilhelm Gustloff“, die am 29. Januar 1945 torpediert wurde. Die Großmutter starb, die Cousine und er gehörten zu den wenigen Überlebenden der Schiffskatastrophe. Er gelangte nach Thüringen und 1955 weiter nach Westdeutschland.

Zum Leistungssport Gehen kam er sehr spät, bei einem Militärmarsch mit 27 Jahren im Jahr 1969.

Der für den 1. FC Nürnberg und später die LAC Quelle Fürth startende Bernd Kannenberg wurde in seiner kurzen Karriere noch bei den Europameisterschaften 1974 in Rom Zweiter über 20 Kilometer und auf beiden Distanzen mehrmals deutscher Meister. Sein Erfolge bezahlte er mit Leistenbrüchen und Problemen der Bauchmuskulatur, die 1978 seine aktive Karriere und bald darauf auch seine Tätigkeit als Bundestrainer enden ließen.

Am 13. Januar endete jetzt auch der Gang des Lebens von Bernd Kannenberg.

Uwe Hahnkamp

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