Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Weiterhin eine große Aufgabe

 

Mit dem Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau, Prof. Krzysztof Ruchniewicz, sprach Rudolf Urban über den Nachbarschaftsvertrag, seine Realisierung und Zukunft.

 

Der 17. Juni 1991 – ein historisches Datum für die deutsch-polnischen Beziehungen, das für sich steht, oder ist es der Endpunkt eines Prozesses, der Ende der 80er angefangen hat?

Zum einen haben wir es mit einem ganz wichtigen Ereignis in den deutsch-polnischen Beziehungen zu tun. Zum anderen aber ist es ein kleiner Abschluss eines längeren Prozesses, der mit dem Jahr 1989, den damaligen Veränderungen in Mittelosteuropa, besonders in Polen und den beiden deutschen Staaten, begonnen hat. Dann haben wir den Besuch Helmut Kohls im November 1989 in Polen und die Versöhnungsmesse in Kreisau. Nicht zu vergessen ist der 2+4 Vertrag und als dessen Folge die Unterzeichnung des Vertrages über die Bestätigung der Grenze und schließlich des Vertrages über gute Nachbarschaft.
Man sieht also, wir haben es mit einem Prozess zu tun, bei dem wir aber gleichzeitig berücksichtigen müssen, dass vor diesem Hintergrund ganz wichtige Ereignisse stattgefunden haben und die Unterzeichnung dieser Verträge möglich gewesen ist, weil die internationale Politik stimmte, obwohl nicht von vornherein klar war, in welche Richtung sie gehen würde. Auf jeden Fall beendete die Unterzeichnung einen Prozess und legte klare Formen für die zukünftigen deutsch-polnischen Beziehungen fest.
Man muss aber auch erinnern, dass die polnische Seite zunächst nur einen Vertrag unterzeichnen wollte, der alle Fragen regeln sollte. Erst im Lauf des Jahres 1990 kam man überein, dass doch zwei Verträge unterschrieben werden. Auch wenn man sie getrennt behandelt, sprechen wir heute doch von einem Vertragswerk, denn man kann sich den einen ohne den anderen nicht vorstellen.

 

Prof. Krzysztof Ruchniewicz (li.) im Gespräch mit dem deutschen Generalkonsul in Breslau, Hans Jörg Neumann
Foto: Rudolf Urban

Der Vertrag ist für die deutsche Minderheit in Polen ein erstes wichtiges Dokument, das bestätigt, man wird von beiden Staaten gesehen und gefördert. Auf der anderen Seite wurden aber auch die Polen in Deutschland direkt in dem Vertrag genannt. Aus der polnischen Politik hört man allerdings seit einigen Jahren, dass zwischen beiden Gruppen keine Symmetrie herrscht und die Polen als Minderheit in Deutschland anerkannt werden sollten.

In der Tat werden im Vertrag die Deutschen in Polen als Minderheit bezeichnet, die Polen in Deutschland dagegen nicht. Das war auch schon damals für die Chefverhandler klar, dass es zu Kontroversen führen kann. Die Meinung ist dann auch bis heute geteilt geblieben und es bleibt festzuhalten, dass die Entscheidung damals von beiden Seiten so vereinbart wurde. Wichtig ist aber dabei zu betonen, dass die Polen in Deutschland dieselben Rechte haben wie die Deutschen in Polen. Da kann man von keiner Asymmetrie sprechen. Es ist aber eine andere Sache, wie sich die Gruppen für ihre Rechte einsetzen und versuchen, diese geltend zu machen.
Eine weitere Frage ist, ob sich die Polen in Deutschland benachteiligt fühlen, ihre Rechte nicht geltend machen können oder in ihrer kulturellen Entwicklung in Deutschland eingeschränkt werden. Das wäre für mich weitaus wichtiger, als immer auf den Status als Minderheit zu pochen. Der Statuts an sich schafft nicht alle Probleme ab, sondern muss ebenso mit Leben gefüllt werden. Es gibt gewiss manches, das zu ändern wäre. Aber da muss man genauer analysieren, um welche Probleme oder nichtrealisierte Rechte es sich handelt und wie man sie zusammen lösen kann. Und da muss man sagen, dass vor allem in den letzten Jahren auf der deutschen Seite viele an die polnische Gruppe adressierte Vorschläge gemacht wurden, die zurzeit realisiert werden.

 

Werden die Polen benachteiligt? Aktuell wird in der polnischen Politik neben dem Status der fehlende Polnisch-Unterricht bemängelt. Ist es wirklich so schlecht darum bestellt?

Wir müssen die Länderhoheit der einzelnen Bundesländer berücksichtigen. Die regionale Struktur spielt in dieser Frage eine ganz wichtige Rolle, weil es kein einheitliches nationales Ministerium für diese Fragen gibt, sondern nur in den einzelnen Bundesländern. Und hier hängt es davon ab, wieviel Interesse die Polen selbst daran haben, dass ihnen ein Unterricht organisiert wird und ihre Kinder dann auch zu diesem Unterricht in den Schulen schicken. Es gibt schon konkrete Lösungen in Sachsen oder Nordrhein-Westfalen, wo viele Polen leben. Dort können sie auch an regulärem Polnisch-Unterricht teilnehmen.
Es ist aber auch klar, wenn es innerhalb einer Stadt nur eine kleine Gruppe gibt, wird es schwierig, für diese Interessierten einen Unterricht zu organisieren. Es sind Probleme, die man lösen muss, aber ich würde mich da fragen, ob die Pandemie, die uns doch alle gelehrt wie, wie man mit digitalen Mitteln umgehen sollte, hier den verstreuten Gruppen nicht auch neue Möglichkeiten eröffnet, ihnen etwas Zentrales anzubieten. Ich habe aber auch nicht gehört, dass z. B. Sommerschulen für den Spracherwerb organisiert werden. Es gibt also unterschiedliche Formate, die man nutzen kann und die der deutschen Seite zeigen können, es lohnt sich, diese zu finanzieren, weil auch der Bedarf besteht.

Mit der Sprache sind Kultur und Geschichte verbunden, die auch vermittelt werden. Dessen nehmen sich seit Jahren viele unterschiedliche Organisationen an. Was allerdings fehlt, ist so etwas wie eine Bundesversammlung aller solcher Institutionen, die zumindest gegenüber dem deutschen Staat ihre Wünsche und Erwartungen äußern könnten. Das ist ein Thema weniger für die deutsche als für die polnische Seite, wie man solche Organisationen dazu bringt, dass sie eine Sprache sprechen. Es ist zwar schwer, sie alle unter einen Hut zu bekommen, aber eine solche Erwartung hätte ich, denn will man etwas erreichen, muss man ganz konkrete Wünsche äußern, die nicht konträr zueinander sind, sondern die Organisationen müssen eine Sprache sprechen.

 

30 Jahre sind nun vorbei. Vieles wurde erreicht, wenn man auf die Jugend, die Wirtschaft, die Zivilgesellschaften schaut. Würden Sie sagen, man kann einfach feiern und den Vertrag weiter so realisieren oder braucht es da etwas Neues?

Ich denke, wir haben den Vertrag nicht genug genutzt, weshalb er weiterhin aktuell ist und für uns eine Anregung für weitere Aktivitäten sein kann. Er hat mehrere Aufgaben erfüllt. Zum einen hat er Grundlagen für eine gute Nachbarschaft geschaffen, nahm aber auch Deutschland ein wenig das Versprechen ab, es werde der Anwalt Polens sein, was wir mit dem Beitritt zur NATO und Europäischer Union gesehen haben. Politisch sind damit also viele Fragen geregelt worden. Zum anderen hat er natürlich durch die enge Zusammenarbeit zum Abbau vieler Vorurteile beigetragen.

Was aber grundsätzlich wichtig ist: die Rolle der Zivilgesellschaften wurde betont und von ihnen hängen die Beziehungen ab. Denken wir an die Zeit vor 1989, als das Verhältnis von den jeweiligen Regierungen abhing und die Bevölkerungen nur eine marginale Rolle spielten. Heute ist so etwas nicht mehr möglich. Es ist eine Vielzahl von Aktivitäten entstanden, die gezeigt haben, wieviel von uns den Menschen vor Ort, den unmittelbaren Nachbarn abhängt.
Ich glaube auch nicht, dass der Vertrag an Bedeutung verloren hat und es gibt einen Grund zu feiern, obwohl wir, gerade was die politischen Beziehungen angeht, immer wieder meckern und uns wünschen könnten, dass auch unter den Politikern etwas mehr Übereinstimmung herrscht, gerade, was die gemeinsamen Ziele angeht, z. B. die Zukunft Europas.

Aber gleichzeitig sehen wir, dass unsere Beziehungen eben nicht mehr von den Politikern abhängen. Man kann nichts mehr verordnen, sondern alles liegt an uns. Das ist durch den Vertrag eine große Aufforderung an uns, sich für die deutsch-polnischen Fragen einzusetzen und sie weiterhin als große Aufgabe zu sehen.

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