Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Wir hoffen, dass es schnell endet

Mit Igor Beresin, dem Chefredakteur der „Moskauer Deutschen Zeitung“, spricht Rudolf Urban über den Krieg in der Ukraine und die Situation in Russland.

Du sprichst mit ganz vielen Menschen, nicht nur in Moskau. Wie stehen die Russen zum Krieg in der Ukraine, oder wie ihr ihn nennen müsst, zur „militärischen Sonderoperation“?

Es war für uns eine regelrechte Überraschung. Keiner hat so etwas erwartet und wir sind bis heute praktisch schockiert. Auch deswegen sind nicht alle bereit, darüber zu sprechen. Nicht nur wegen rechtlicher Beschränkungen, sondern es ist psychologisch einfach bequemer, dieses Thema nicht anzusprechen. Aber es verschwindet damit nicht.
Von offizieller Seite, z. B. von Kreml-Sprecher Peskov, gab es vor wenigen Tagen die Information, dass ca. 70% der Russen für diese „Sonderoperation“ sind. Ich sage deshalb „Sonderoperation“, weil in den Umfragen eben direkt danach gefragt wurde. Und eine Formulierung macht hier natürlich viel aus. Die Umfrage zeigt aber auch, dass auf der anderen Seite ca. 30% der russischen Staatsbürger gegen diese Entscheidung sind. Ob es viel oder wenig sind, kann ich schlecht beurteilen.
Meine persönliche Einschätzung ist aber, dass diese Zahlen leider mehr oder weniger stimmen. Mindestens die Hälfte der Menschen in meiner Umgebung stimmen dieser „Sonderoperation“ zu. Für mich war es auch eine Überraschung, denn ich dachte, dass es doch etwas anders aussieht. Aber so ist es aktuell in Russland.

Und wie steht die deutsche Minderheit, die Russlanddeutschen zu dem Konflikt?

Es gibt natürlich keine Umfrage unter den Mitgliedern der deutschen Minderheit in Russland, also kann ich an dieser Stelle nur vermuten. Und meine Vermutung ist, dass die deutsche Minderheit, weil sie ein Teil der russischen Gesellschaft ist, wohl auch geteilt ist.
Die Leitung der Russlanddeutschen hatte am Tag nach dem Beginn der „Operation“ eine Sitzung, die aber wohl schon länger geplant gewesen ist, und dabei haben sie sich generell geäußert, dass jeder Krieg eine Tragödie ist. Er bedeute Verluste auf beiden Seiten, Zerstörungen, Angst, Flucht und alles, was jeder Krieg mit sich bringt. Deswegen hoffen wir alle hier, auch wir Russlanddeutschen, dass das, was gerade in der Ukraine passiert, nicht lange dauern wird. Wir hoffen, dass es endet, schnell.
Selbstverständlich haben die Russlanddeutschen viele Verbindungen zur Ukraine, sie sprechen den Deutschen in der Ukraine ihre Unterstützung aus. Es ist einfach eine menschliche und selbstverständlich unpolitische Haltung, die ich ganz gut verstehe. So ist es.

Igor Beresin lebt und arbeitet in Moskau
Foto: Screenshot/zoom

Wieviel davon, was während des Krieges konkret in der Ukraine passiert, also von den einzelnen Angriffen, den Bombardierungen, dem Tod vieler Zivilisten, bekommen die Russen mit?

Ja, das ist eine Frage, die ich in diesen Tagen oft gestellt bekomme. Das Problem besteht darin, dass wir hier in Russland praktisch nicht eine Gesellschaft, sondern zwei sind, die weit voneinander entfernt sind. Lass es mich so erklären. Kann sich die Meinung der Menschen in dieser Situation ändern? Ich denke, nein. Diejenigen, die bestimmte Medien konsumieren, hatten eine konkrete Meinung noch vor den Ereignissen. Und jetzt, als dutzende Kanäle und Medien von Roskomnadzor, der Medienaufsichtsbehörde, blockiert wurden, weil sie anders als vorgesehen über die „Sonderoperation“ berichtet haben, ist es für diese Menschen noch schwieriger, differenzierte Informationen zu bekommen. Aber, wer Informationen aus anderen Quellen bekommen möchte, der erhält sie auch. Es ist alles machbar. Die Frage ist nur, welche Einstellung die Menschen von Anfang an haben. Ich glaube, das bestimmt alles.

Und wie sieht der Alltag in Russland aus? Das Land wurde mit Sanktionen belegt, viele westliche Firmen haben sich zurückgezogen. Das Leben in Russland wird also für den einfachen Russen immer schwieriger.

Wir sind alle von den Sanktionen betroffen, ob Moskau oder irgendeine andere Stadt im Land. Aber bevor ich über unsere Situation spreche, möchte ich einfach betonen, dass im Vergleich zu den Menschen in der Ukraine es uns gar nicht schlecht geht. Wir sind hier sicher, wir haben etwas zu Essen usw. Ich muss auch mir immer wieder diesen Vergleich vor Augen führen!
Um nun aber auf Deine Frage zu kommen. Wir bekommen jeden Tag Informationen über Firmen, die sich aus dem Land zurückziehen, zeitweise oder für immer. Die Preise steigen, und zwar überall. Aber vor allem spüren wir den psychologischen Druck. Wenn z. B. berichtet wird, dass etwa 70.000 IT-Fachleute das Land verlassen haben, dann stellt sich die Frage, wer am Ende überhaupt noch bleibt und arbeiten wird.
Ich habe zwar vor Kurzem eine Umfrage gelesen, dass ca. 50% der Bevölkerung glaubt, die Sanktionen werden uns nicht zerstören. Doch sie sind spürbar und erzeugen einen sichtbaren Druck. Ich möchte aber nochmal klar sagen: Uns geht es hier besser als unseren Nachbarn gerade.

Medienmenschen in Russland haben nun noch mehr Meinungsfreiheit verloren, allein, weil der Krieg nicht als Krieg bezeichnet werden darf. Ausländische Korrespondenten wurden abgezogen, einige russische Medien wurden geschlossen oder die Journalisten haben das Land verlassen. Wie sieht es nun bei Euch, bei der „Moskauer Deutschen Zeitung“ aus? Werdet Ihr weitermachen? Könnt Ihr noch weitermachen?

Die „Moskauer Deutsche Zeitung“ berichtet zum einen über und für die Russlanddeutschen, zum anderen aber wir haben auch viele Leser in Deutschland und anderen Ländern, die Nachrichten aus Russland auf Deutsch bekommen wollen. Das Wort Nachrichten passt dabei nicht ganz, denn mit unserem Erscheinungstempo, also zwei Mal pro Monat, können wir natürlich mit Tageszeitungen und modernen Medien nicht konkurrieren. Das ist einerseits ein Nachteil, aber in der jetzigen Situation vielleicht auch ein Vorteil. Denn nun, auch wegen der juristischen Lage, werden wir uns noch mehr mit Hintergrundgeschichten beschäftigen. Es gibt genug Medien, die über die aktuelle Situation in der Ukraine berichten und das schneller und präziser tun, als wir es machen könnten. Was von uns also zu erwarten ist, werden Geschichten aus dem Land sein, das jetzt praktisch hinter dem „Eisernen Vorhang“ ist. Ich hoffe und glaube, dass es auch Menschen gibt, die sich dafür interessieren werden, was in dem Teil der Welt passiert, der nun in der Isolation ist. Das ist unsere Idee für unsere Zukunft. Selbstverständlich betreuen wir auch weiterhin die deutsche Minderheit in Russland, was für uns sehr wichtig ist. Das ist also der Plan, aber wie es weitergeht, kann ich heute nicht sagen.

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