Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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„Wir sind als Drehscheibe angetreten“

Mit Gunnar Hille, dem Leiter des im sächsischen St. Marienthal (Stadt Ostritz) beheimateten Kompetenz- und Koordinationszentrums Polnisch (KoKoPol), sprach Lucas Netter über die Arbeitsschwerpunkte der 2020 ins Leben gerufenen Mittlerorganisation, die Bedeutung der polnischen Sprache in Deutschland und die Förderung des herkunftssprachlichen Polnischunterrichts.

Herr Hille, die erklärten Ziele von KoKoPol sind es, die polnische Sprache in Deutschland zu popularisieren und Interesse für die polnische Kultur zu wecken. Aus Ihrer Sicht: Warum war die Einrichtung eines solchen Zentrums notwendig?

Es gibt hierzulande zwar viele deutsch-polnische Initiativen und Kontaktbeziehungen, aber sie allein reichen nicht aus in einer Gesellschaft wie der deutschen, wo Polen kaum zu Wort kommt und nur auf wenig Interesse stößt. Unser Ziel war es deshalb, eine Organisation zu schaffen, die in Kooperation mit der Zivilgesellschaft, den Bildungsträgern und der Politik die polnische Sprache im Kontext der deutsch-polnischen Zusammenarbeit stärker in den Mittelpunkt rückt. Ziel ist es, über die Kenntnis der Sprache zum Verstehen, und über das Verstehen der Sprache und der Kultur dahinter leichter zur Verständigung zu kommen. Wir sind gewissermaßen als Drehscheibe angetreten, indem wir die deutsch-polnischen Beziehungen gezielt auch auf das Thema polnische Sprache fokussieren. Auf diese Weise lässt sich ein größerer Effekt im Dialog mit Polen erzielen, als es bislang möglich war.

Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Arbeit?

Unser Anliegen ist es, die polnische Sprache in Deutschland auf allen Ebenen zu fördern. So stellen wir zum Beispiel Sprachmaterial zum Erlernen des Polnischen in bisher vernachlässigten Bereichen zur Verfügung, führen Fortbildungen für Lehrkräfte durch und unterstützen bereits vorhandene Aktivitäten zur Vermittlung des Polnischen als Fremd- und Herkunftssprache, so in unserer Frühjahrsakademie für Herkunftssprachler. Aktuell arbeiten wir außerdem an einer Publikation, mit der ein niederschwelliger Einstieg in die polnische Sprache speziell in Städte- und anderen Partnerschaften ermöglicht werden soll.

Gunnar Hille
Foto: KoKoPol

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung von Polnisch in der Schule. Hier arbeiten wir eng mit den Kultusministerien der Bundesländer zusammen. Hinsichtlich des außerschulischen Polnischunterrichts als Herkunftssprache entwickeln wir derzeit ein Konzept zur Zertifizierung ebenjenes Unterrichts, damit die Leistungen der Kinder und Jugendlichen in diesem Bereich möglichst auch in den Schulzeugnissen abgebildet werden können.

Darüber hinaus gibt es viele weitere Felder, in denen wir aktiv sind: interkulturelles Sprachtraining für Wirtschaft und Verwaltung, Sprachanimation für Jugendliche etc. Generell versuchen wir, die bereits vorhandenen Initiativen für die polnische Sprache aufzugreifen, zu verstärken – und eigene Impulse zu setzen.

Welchen Stand hat die polnische Sprache in Deutschland, vor allem im Hinblick auf den schulischen und außerschulischen Polnischunterricht als Herkunftssprache? Ist der Bedarf an Polnischunterricht in Deutschland größer als das Angebot?

Das ist die zentrale Frage, die sich seit langer Zeit stellt. Zugegeben: Vor 20 Jahren war hierzulande die Nachfrage nach Polnisch noch gering. Die polnischen Migranten und ihre Kinder haben ihr Polentum in der Öffentlichkeit eher versteckt. Das galt auch für die Schule, wo es praktisch keine Nachfrage nach herkunftssprachlichem Polnischunterricht gab.

Mittlerweile hat sich dies aber geändert: Die sogenannten Strebermigranten werden selbstbewusst – das Polentum, die polnische Abstammung, die polnische Geschichte und Sprache werden verstanden als etwas Positives, als eine Auszeichnung, als ein Kapital, das man mitbringt in einer Gesellschaft, die wenig von Polen und der polnischen Sprache weiß. Dadurch ist auch die Nachfrage nach Polnisch stärker geworden. Ich höre von den Bundesländern und den Schulen, dass sich das Angebot erhöht hat und auch öfter in Anspruch genommen wird.

Heute lernen deutschlandweit etwa 15.000 Schülerinnen und Schüler an staatlichen Schulen Polnisch. Dabei gibt es allerdings in den Statistiken keine Differenzierung zwischen Polnisch als Fremd- und Polnisch als Herkunftssprache. Wir schätzen aber, dass etwa 10.000 Schülerinnen und Schüler den Herkunftssprachenunterricht besuchen und die restlichen circa 5.000 Kinder und Jugendlichen Polnisch als Fremdsprache lernen. Wir arbeiten daran, dass sich diese Zahlen in Zukunft noch deutlich erhöhen werden.

Vergangenen Herbst hat die Bundesregierung beschlossen, in diesem und den kommenden zwei Jahren insgesamt fünf Millionen Euro zur Förderung des außerschulischen herkunftssprachlichen Polnischunterrichts bereitzustellen. Ist schon klar, wie die Gelder verteilt werden?

Wir haben in dieser Angelegenheit auf Wunsch der Bundesregierung ein Konzept erarbeitet und vorgelegt, das als tauglich befunden wurde, sodass KoKoPol den Zuschlag zur Umsetzung bekam. Die Details müssen zwar noch mit dem Titelverwalter abgestimmt werden (zum Zeitpunkt des Interviews war noch nicht klar, welches Bundesministerium die Gelder verwalten wird, Anm. d. Red.); auf der Basis dieses Konzepts sind uns die finanziellen Mittel jedoch schon zugesagt worden. Im Jahr 2023 wird das KoKoPol eine Million Euro und in den beiden Folgejahren jeweils zwei Millionen Euro zur Förderung des außerschulischen Polnischunterrichts als Herkunftssprache erhalten.

In unserem ursprünglichen Konzept werden die Gelder auf fünf Arbeitsfelder verteilt. Das erste beinhaltet den Aufbau und die Steuerung unserer Arbeit, das zweite die Zusammenarbeit mit den deutschen Institutionen. Das dritte Arbeitsfeld betrifft die Zusammenarbeit mit den Fachverbänden und den Polonia-Organisationen. Im vierten Arbeitsfeld wird die Schaffung eines didaktischen Rahmenwerks für den Herkunftssprachenunterricht Polnisch vorangetrieben. Und das Arbeitsfeld Nummer fünf beschäftigt sich mit Werbe- und PR-Kampagnen – möglichst mit bekannten polnischstämmigen Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Medien oder Sport.

Der letztendliche Titelverwalter wird dann über KoKoPol die Gelder an die Polonia-Verbände oder andere Organisationen, die herkunftssprachlichen Polnischunterricht anbieten, zur Verfügung stellen. Dies läuft allerdings nicht über das Gießkannenprinzip, sondern ist immer projektgebunden.

Mitte November 2022 haben Sie KoKoPol bei der deutsch-polnischen Regierungskommission in Warschau vorgestellt. Welches Echo haben Sie von den Politikern erhalten?

Unser Zentrum stieß auf sehr reges Interesse, besonders auch bei den polnischen Kommissionsmitgliedern. Man spürte, dass in Deutschland jetzt auch eine „Zeitenwende“ in puncto polnische Sprache eingetreten ist. Die Freigabe der finanziellen Mittel zur Förderung des außerschulischen Polnischunterrichts als Herkunftssprache durch die Bundesregierung ist ein absolutes Novum und muss daher verfassungsrechtlich wasserdicht gemacht werden. Aber sie ist ein Zeichen, dass es uns in Deutschland ernst ist mit der vertieften Förderung der polnischen Sprache und Kultur.

Im Übrigen war das Interesse der Bundesregierung in diesem Bereich auch schon vor den Kürzungen des minderheitensprachlichen Deutschunterrichts in Polen vorhanden, denn KoKoPol existiert ja bereits seit knapp drei Jahren, gefördert vom Auswärtigen Amt und dem Freistaat Sachsen. Ich möchte aber betonen: Die anhaltende Diskriminierung der deutschen Minderheit in Polen entspricht nicht den freundschaftlichen nachbarschaftlichen Beziehungen, die zwischen Deutschland und Polen herrschen. Es sollte in dieser Frage also alsbald eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden.

Ende Februar hat KoKoPol die Polonia-Organisationen in Deutschland zu einer Arbeitstagung eingeladen. Was war das Ziel dieses Treffens?

Das Ziel der Arbeitstagung war es zunächst einmal, die Polonia-Verbände, die zum Teil sehr verschiedenartig sind, auch was die politische und historische Ausrichtung angeht, an einen Tisch zu bringen und den Austausch untereinander zum Thema Polnisch in Deutschland zu ermöglichen. Es ging darum, dass wir uns untereinander stärker vernetzen, aber auch darum, über Erwartungen, Hoffnungen, Bedenken und Forderungen zu sprechen, die die Organisationen mit Blick auf die zugesagten Geldmittel zur Förderung der polnischen Sprache in Deutschland haben. Die Ergebnisse der Diskussionen wurden von den Polonia-Organisationen am Ende der Arbeitstagung in der sogenannten Ostritzer Erklärung zusammengefasst (siehe „Wochenblatt.pl“, Nr. 9/1612, Anm. d. Red.). Dass KoKoPol nicht alle Forderungen und Erwartungen dieser Erklärung mittragen kann, tut dem Dokument keinen Abbruch.

Wir als KoKoPol werden versuchen, die für uns akzeptablen Punkte aufzunehmen und dort, wo es möglich ist und uns sinnvoll erscheint, umzusetzen. Insgesamt war ich positiv überrascht von der angenehmen Atmosphäre des Treffens – und freue mich über die Erkenntnis der Polonia-Organisationen, dass wir beim Kampf für die polnische Sprache nur gemeinsam stark sind.

Herr Hille, vielen Dank für dieses Gespräch.

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