Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Wo drückt der Schuh?

In der vergangenen Woche kamen in Berlin 37 Vertreterinnen und Vertreter deutscher Minderheiten aus 17 Ländern zusammen. Während der jährlichen Tagung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) wurde vorwiegend besprochen, was die deutschen Volksgruppen in Europa und Zentralasien derzeit umtreibt.

„In allen Gesprächen – sowohl intern als auch mit verschiedenen Abgeordneten des Deutschen Bundestages – kamen die Hauptprobleme der deutschen Minderheiten zum Ausdruck“, sagt Bernard Gaida, der im Rahmen der AGDM-Jahrestagung erneut zum Sprecher dieses informellen Austauschgremiums gewählt wurde.

Was die deutschen Minderheiten aktuell bewegt

Zum einen machten sich die deutschen Volksgruppen in Europa und Zentralasien große Sorgen um ihre zukünftige Förderung seitens der Bundesregierung, erklärt Gaida. Der ehemalige Vorsitzende des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), der kürzlich auch zu einem der Vizepräsidenten der FUEN gewählt wurde, warnt, dass besonders die kleinsten deutschen Minderheiten angesichts der drohenden finanziellen Einschnitte in ihrer Existenz gefährdet seien.

Zum anderen seien in mehreren Ländern wachsende nationalistische Tendenzen zu beobachten, „was natürlich für die Minderheiten immer gefährlich ist“, so Gaida.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AGDM-Tagung mit Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten (vorn, Mitte)
Foto: AGDM

Natürlich war auch der Krieg in der Ukraine ein zentrales Thema der Tagung – besonders die Lage der dortigen deutschen Minderheit. Gaida erklärt hierzu: „In meiner Funktion als AGDM-Sprecher sage ich mit Stolz: Trotz des schrecklichen Krieges haben wir weiterhin Vertreter der deutschen Minderheit sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland unter uns. Das heißt, die Kommunikationskanäle innerhalb der Gemeinschaft der deutschen Minderheiten sind nicht geschlossen, sie sind offen.“

Am Rande des dreitägigen AGDM-Treffens besuchten einige Teilnehmer, darunter Wladimir Leysle vom Rat der Deutschen in der Ukraine, zudem den neuen ukrainischen Botschafter in Berlin, Oleksij Makejew. In dem Austausch wurden unter anderem das weitreichende Engagement der deutschen Minderheiten für ukrainische Flüchtlinge sowie die Bedeutung des Minderheitenschutzes in der Ukraine im Hinblick auf den Weg des Landes in die Europäische Union thematisiert.

Treffen mit dem Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksij Makejew (3. v. l.)
Foto: Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) (facebook.com/Landesforum)

„Verstoß gegen Prinzipien“

Auch spezifische Probleme standen während der Zusammenkunft der AGDM in der deutschen Hauptstadt auf der Agenda – insbesondere die offene Diskriminierung der deutschen Minderheit in Polen. „Natürlich steht jede deutsche Minderheit vor eigenen Herausforderungen, aber alle haben verstanden, dass dieses Problem (die Reduzierung der wöchentlichen Unterrichtsstunden in Deutsch als Minderheitensprache an polnischen Schulen, Anm. d. Red.) außergewöhnlich ist. Denn hierbei handelt es sich nicht um ein klassisches Problem einer Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft, sondern hier geht es um einen Verstoß gegen Prinzipien“, so Bernard Gaida. Wie er berichtet, bereite die AGDM auf Vorschlag der deutschen Volksgruppe in Rumänien derzeit eine Stellungnahme zu dieser Thematik vor.

Weronika Koston, die Vorsitzende des Bundes der Jugend der Deutschen Minderheit in Polen (BJDM), und der VdG-Vorsitzende Rafał Bartek waren ebenfalls bei dem AGDM-Treffen in Berlin dabei.
Foto: AGDM

Außerdem solle Deutschland zu einer sichtbareren Wertschätzung der deutschen Minderheiten im Ausland aufgerufen werden, ausgedrückt beispielsweise durch persönliche Besuche deutscher Politiker während ihrer Reisen in die jeweiligen Staaten, betont Gaida. „Wir können in unseren Ländern so viel Wertschätzung erwarten, wie viel Wertschätzung uns Deutschland entgegenbringt“, sagt er. Diese „Feststellung“ sei auch bei einem Treffen mit einigen Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion – darunter Natalie Pawlik, die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten – deutlich gemacht worden – und habe dort durchaus Anklang gefunden.

Kritischer Austausch hier, ermutigendes Treffen dort

Im Programm der AGDM-Tagung stand nicht zuletzt auch eine Besichtigung des Dokumentationszentrums der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin-Kreuzberg. Sowohl Bernard Gaida als auch der VdG-Vorsitzende Rafał Bartek merkten in diesem Zusammenhang kritisch an, dass die deutschen Minderheiten und ihre Geschichte in der Ausstellung zu wenig im Fokus stünden. Es sei aber wichtig gewesen, „dass wir uns mit der Direktorin (Dr. Gundula Bavendamm, Anm. d. Red.) offen darüber austauschen konnten. Das Zentrum ist ja schließlich ein lebendiger Ort der Begegnung“, kommentierte Bartek auf Facebook.

Im Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Foto: AGDM

Besonders gefreut hat die Frauen und Männer aus der AGDM zudem ein Treffen mit einigen Mitgliedern des Parlamentskreises Minderheiten im Deutschen Bundestag. Die fraktionsübergreifend besetzte Gruppe wurde erst im Juni dieses Jahres ins Leben gerufen – und zwar auf Initiative der beiden Bundestagsabgeordneten Stefan Seidler (Südschleswigscher Wählerverband) und Denise Loop (Grüne). „Während des Gesprächs wurde uns versichert, dass in dem Parlamentskreis – neben den vier anerkannten Minderheiten in Deutschland – auch die Belange der deutschen Minderheiten im Ausland eine wichtige Rolle spielen“, freut sich Bernard Gaida.

Wenn ebenjenen deutschen Minderheiten also (wieder einmal) irgendwo der Schuh drückt, haben sie im politischen Berlin immer noch so manche Verbündete, auf deren Solidarität und Unterstützung sie zählen können.

Lucas Netter

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