10. Sonntag nach Trinitatis
Evangelium: Lk 18,31-43
Menschenmengen folgen Jesus und seinen Jüngern. Viele wollen zum Heiland gelangen. Sie wollen über ihre Sorgen sprechen, sie wollen eine heilende Berührung. Inmitten des Trubels nimmt der Lehrer seine Jünger beiseite und erzählt ihnen von dem Leiden, das vor ihm liegt, von seiner Erniedrigung, seinem Tod und seiner Auferstehung. Doch das kommt bei den Jüngern nicht an. Sie verstehen es nicht. Dieses Wort ist für sie verdeckt. Sie hören, aber sie hören nicht zu. Sie schauen, aber sie können nicht sehen.
Es ist bezeichnend, dass der blinde Mann von Jesus erhört wird. Er war überzeugt, dass Jesus von Nazareth, der Sohn Davids, seine Situation ändern würde. Der Blinde, der der Figur des Bartimäus im Markusevangelium mit großer Sicherheit entspricht, spricht Jesus mit dem Titel Messias an. Dies ist ein Ausdruck seines Glaubens, seiner Gewissheit über die göttliche Sendung Jesu. Er ruft umso lauter und lässt sich nicht von der ihn zum Schweigen bringenden Menge unterdrücken. Bartimäus schloss sich wahrscheinlich nach seiner Heilung dem großen Kreis der Jünger des Heilands an. Es ist anzunehmen, dass er auch Mitglied des Jerusalemer Prätoriums wurde. Auffallend an seiner Haltung ist die völlige Überzeugung, dass Jesus sein Schicksal ändern kann. In anderen Übersetzungen steht das Wort „wieder“ – mach mich wieder sehend. Dies lässt vermuten, dass er früher einmal sehen konnte, aber im Laufe der Zeit sein Augenlicht verlor. Eine Krankheit verdammte ihn zum Bettlerdasein. Als er jedoch vom Heiland hörte, glaubte er und war überzeugt, dass er seine Hoffnung nur auf ihn setzen konnte. Wir wissen, wie diese Begegnung endet. Er hat keine Enttäuschung erlebt. „Dein Glaube hat dich geheilt“, sagte der Herr Jesus am Ende der Begegnung.
Ihre Augen konnten zwar sehen, doch geistlich waren sie blind.
Ganz anders bei denen, die schon relativ lange in der Gesellschaft Christi waren. Sie hatten ihn gesehen, gehört, gerochen, kannten ihn. Doch all das reichte nicht aus, um zu glauben, wie Bartimäus es tat. Er hatte keine Zweifel und kein Dilemma. Die Jünger hingegen verstanden trotz der besten Voraussetzungen nicht, was er sagte. Sie hörten das Wort zwar, aber es blieb ihnen verborgen. Ihre Augen konnten zwar sehen, doch geistig waren sie blind. Erst am Pfingsttag änderte sich alles. Da fielen die Schleier von ihren Augen und sie konnten selbstbewusste Zeugen von Christus werden.
Wir denken oft, dass wir alles verstehen, dass Gott keine Geheimnisse vor uns hat, dass wir viele Antworten kennen. Aber machen wir uns da nicht etwas vor? Eine Sache, die ich als Theologe gelernt habe, ist, dass wir Gott alle Arten von Fragen stellen können. Aber nur er kennt die Antworten. Wir sehen und wissen nur so viel, wie für unsere Erlösung notwendig ist. Die Jünger dachten, sie wüssten so viel. Sie waren ja schließlich einzigartig. Es war der Herr selbst, der sie ansprach: Folge mir nach. Dennoch erlebten sie verschiedene Dilemmata – während des Sturmes auf dem Meer, nach der Gefangennahme Jesu. Petrus ist hier das beste Beispiel. Bartimäus hingegen wusste nicht viel. Er hatte nichts gesehen. Aber er glaubte umso mehr, umso stärker und intensiver. Es war nicht der Glaube an einen Wundertäter, an einen Heiler, an einen Arzt. Es war der Glaube an den Sohn Gottes. An den, der gekommen war, um die Verheißung Gottes zu erfüllen. Das war die Art von Glauben, die den Jüngern oft fehlte. Wo stehen wir auf dieser Skala zwischen den Jüngern und Bartimäus? Amen.