Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

Wort zum Sonntag von Pastor Wojciech Pracki

Erntedank 02.10.22
Lesungen: 2. Korintherbrief 9,6-15, Markusevangelium 8,1-9
Damit du nicht denkst in deinem Herzen: Meine Macht und die Kraft meiner Arme erlangten mir den Reichtum.
V.Mosebuch 8,17


Erntedank 2022 ist anders
Noch nie habe ich das Erntedankfest erlebt im Bewusstsein eines sich so nahe abspielenden Krieges. Zu den Effekten dieser Situation gehört auch das, dass wir die ukrainische Sprache der Flüchtlinge an jeder Ecke hören. Auch in der Evangelischen Gemeinde zu Oppeln. Bis jetzt orientierte ich mich in meinem Leben in fast jede Weltrichtung, mit Ausnahme des postsowjetischen Ostens. Der Russischunterricht ging zum Glückan mir vorbei, zugunsten von Deutsch und Englisch. Bekannte hatte ich im Osten kaum. Alles veränderte sich Ende Februar dieses Jahres…

Abgeholt habe ich meine Flüchtlinge am dritten Tag des Krieges vor einem der Oppelner Einkaufszentren. Die Verteilung der Familien in die Gästezimmer des Gemeindehauses, die Anschaffung der Peselnummern, das Sammelnvon Lebensmitteln und Kleidung, Suche nach Arbeitsstellen… Wer von uns hat das nicht alles mitgemacht, zumindest zum Teil? Ich werde nie vergessen, als ich von einem der Wohltäter drei neue Mikrowellen bekommen habe. Ich habe sie aufgeteilt auf die drei Etagen des Hauses. Bis zu diesem Moment hatte ich nur meine Tochter vor Freude springend an Weihnachten oder nach dem Gewinn einer Sportmeisterschaft erlebt. Diesmal aber waren es erwachsene Personen… nach der Beschenkung mit einer einfachen Mikrowelle… Ohne Gewissheit, dass sie ihre Nächsten und ihr Haus irgendwann einmal wiedersehen werden. Ich könnte noch lange solche herzergreifendenErlebnisse aus diesem Jahr beschreiben.

In diesem Jahrbin ich Gott dankbar für das, was bis jetzt doch so selbstverständlich gewesen ist, und wofür ich niegedacht hätte, überhaupt jemals zu danken. Für das alles, was ich bis jetzt genommen habe, als ob es mir zustehe. Für Haus, Familie, warmes Bett, guten Schlaf in der Nacht, das Gefühl des Satt-Seins, Gesundheit, usw. Dafür, dass ich keine Alarmsirenen in der Nacht höre, dass keine Raketen und Bomben auf die Gebäude, Krankenhäuser und Kindergärten in meiner Umgebung fallen. Dass auf meiner Straße keine Soldateska in fremder Uniform herumläuft. Dass ich nicht stecken geblieben bin im Wald zwischen zwei Staaten, von denen keiner mich will und anerkennt. Letzten Endes danke ich für den eignen Platz in der Welt – auch wenn es banal und hochtrabend zugleich klingt.

Gottes Arm und Macht
Als das Gottesvolk sich der Grenze am Jordanfluss näherte, erinnerte der Herr es daran, dass die Wachteln, das Manna, das Wasser in der Wüste und die Militärsiege nicht zum Selbstverdienten gehören. Sein Arm und seine Macht haben dies geschaffen und das Volk kann seine Dankbarkeit äußern, indem es die von Mosegegebenen Horeb-Gebote gehorsam befolgt.

Das Jahr 2022

In diesem Jahr, beim Auflegen der Brote und der Weintrauben vor dem Altar,beim Aufstellen der Erntekrone, bedanke ich mich bei Gott für alle Kleinigkeiten – für alle Gerüche, jeden Geschmack, für alle Eindrücke, die dazu beitragen, dass ich nicht in Angst und Unsicherheit leben muss. Beim Schmücken des Altars äußere ich mein Vertrauen und die Sicherheit, dass alles in seiner Hand ist und aus seiner Macht lebt. Amen.

Show More