Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Zwischen Birken und Hochöfen

Am 7. Dezember 1990 starb der deutsche Schriftsteller Horst Bienek. Der gebürtige Gleiwitzer hatte ein bewegtes Leben; sein Werk gehört heute zum Kanon der deutschsprachigen Literatur. Anlässlich Bienecks 32. Todestages wurde am 7. Dezember 2022 im Studentischen Kulturzentrum der Universität Oppeln ein Film von Vera Botterbusch gezeigt, der sich mit den Kindheitserinnerungen des Oberschlesiers beschäftigt. Die Filmemacherin war während der Vorführung auch selbst vor Ort.

Die Zuschauerreihen im Studentischen Kulturzentrum der Universität Oppeln waren gut gefüllt an diesem Mittwochabend Anfang Dezember – nicht nur mit Studierenden der Germanistik, sondern auch mit jungen Leuten, die in anderen Fachbereichen „zu Hause“ sind. Auch Gäste „von außerhalb“ waren gekommen. Sie alle wollten sich die seltene Gelegenheit nicht entgehen lassen, ein filmisches Porträt über Horst Bienek zu sehen – jenes oberschlesischen Schriftstellers, der mit Romanen wie „Die Zelle“ (1968) oder der „Gleiwitzer Tetralogie“ (1975–1982) in die Literaturgeschichte eingegangen ist.

Gedenktafel am Geburtshaus von Horst Bienek in Gleiwitz
Foto: Gliwi/wikimedia.org

„Jede Straße führt in die Kindheit – Der Schriftsteller Horst Bienek“ heißt der Film, der anlässlich Bieneks 60. Geburtstages am 7. Mai 1990 entstanden ist. Gemacht hat ihn die Autorin, Regisseurin und Fotografin Vera Botterbusch, die den Schriftsteller – der seit den 1970er-Jahren in Ottobrunn bei München lebte – damals für den Bayerischen Rundfunk interviewte und die Gespräche mit Aufnahmen aus der biografisch wie literarisch für ihn wichtigen Kindheitsgegend Gleiwitz anreicherte. Im Mittelpunkt des 45-minütigen Films – mit einer Gedichtzeile von Horst Bienek als Titel – steht die Suche nach Heimat und Kindheit, nach Zeit und Erinnerung.

Einladungsflyer der Universität Oppeln
Foto: Universität Oppeln

Heute schlummert die Filmperle meist im Archiv des Bayerischen Rundfunks, doch manchmal führt ihn Vera Botterbusch noch vor Publikum vor. Und so saß sie auf Einladung des Instituts für Literaturwissenschaften der Universität Oppeln am 7. Dezember auf dem Podium des örtlichen Studentischen Kulturzentrums und blickte in die erwartungsvollen Augen der anwesenden Studierenden.

Zwei Pole in Bieneks Leben

In einigen einführenden Worten durchlief Daniel Pietrek, Germanistik-Professor an der Universität Oppeln, das bewegte Leben Horst Bieneks, erzählte unter anderem von dessen Kindheit in Gleiwitz, die von Schicksalsschlägen und traumatischen Erlebnissen geprägt war – seine Mutter starb bereits 1941 an Krebs, zwei seiner Brüder fielen im Krieg, zum Vater hatte er ein ausgesprochen schlechtes beziehungsweise ein Nicht-Verhältnis. Eine weitere prägende Erfahrung: Im Januar 1945 wurde der damals 14-jährige Bienek Zeuge des Todesmarschs der überlebenden Auschwitz-Häftlinge durch Gleiwitz. „Er hat dieses Ereignis und diese Bilder sein Leben lang nicht vergessen“, so Daniel Pietrek. Auch auf Bieneks spätere Inhaftierung im sowjetischen Arbeitslager Workuta ging der Germanistik-Professor ein.

Daniel Pietrek und Vera Botterbusch
Foto: Lucas Netter

Anschließend übernahm Vera Botterbusch das Wort und gab einen kurzen Überblick über Horst Bieneks Schaffen. „Das literarische Werk von Horst Bienek kreist in nahezu konzentrischen Kreisen um zwei Pole. Zum einen: Die Welt als Gefangenschaft – ein Thema, das Bienek in vierjähriger Gefangenschaft in dem russischen Lager hautnah erlebte, und das ihn sowohl in der Form der eigenen Vergangenheitsbewältigung als auch als existenzielle Grunderfahrung des Lebens immer wieder beschäftigt hat“, sagte sie.

Vera Botterbusch auf dem Podium des Studentischen Kulturzentrums der Universität Oppeln
Foto: Lucas Netter

Zum anderen sei da die Welt der Kindheit. Hier sei Bieneks vierbändiges Romanwerk über seine Heimatstadt Gleiwitz, das die Zeitspanne vom Beginn bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges abdeckt, „der Kernpunkt seines Œuvres überhaupt. Darum ranken sich Gedichte, Essays – immer wieder mit dem Gedanken der verrinnenden, der verlorenen, der wiederzufindenden, der wiedergefundenen Zeit, jener Zeit, die man erst bewusst wahrnimmt, wenn die Zeit der Kindheit zu Ende gegangen ist“, so die Filmemacherin.

Annäherung an die Kindheit

Die Annäherung an Bieneks Gleiwitzer Kindheit „zwischen Birken und Hochöfen“ steht folglich auch im Zentrum von Vera Botterbuschs Film, der dem Publikum im Anschluss vorgeführt wurde. „Gleiwitz ist für Horst Bienek Atmosphäre, Milieu, der reale und fiktive Ort ewiger – weil literarisch festgehaltener – Kindheit“, heißt es zum Beispiel an einer Stelle des Films. Und Horst Bienek selbst sagt darin: „Wenn ich ehrlich sein will, hatte ich eine ziemlich arme Kindheit, obwohl sie auf der anderen Seite schön war – durch die oberschlesische Landschaft, durch die Menschen, durch die Grubenarbeiter; das war eine hochinteressante Atmosphäre.“

Vera Botterbusch mit einigen Studierenden der Universität Oppeln
Foto: Lucas Netter

Warum dreht sich dieser Film ausgerechnet um Horst Bieneks Kindheit? Vera Botterbusch sagt hierzu: „Diese Kindheit darf deshalb im Zentrum des Films stehen, weil sie für Bienek immer wieder die Nahtstelle von Kunst und Leben, von Bewusstsein und Unbewusstem, von Wahrheit und Lüge ausmacht. Weil die Suche nach der Kindheit eines Menschen so viel ist wie die Suche nach dem Menschen selbst.“

Lucas Netter

Sehen Sie auch: „Spotkanie z niemiecką reżyserką Verą Botterbusch i prezentacja jej filmu“ auf dem YouTube-Kanal der Universität Oppeln

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