Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wollte eine neue Generation europäischer Architekten die Regeln des Bauens und der Ästhetik neu definieren. Davon blieb auch das seit 1922 geteilte Oberschlesien nicht ausgeschlossen und so setzte auf beiden Seiten der Grenze eine modernistisch geprägte Bautätigkeit ein. Zu den markantesten Kattowitzer Gebäuden aus dieser Zeit gehört der Sitz des Schlesischen Parlaments.
Den Wettbewerb für den Sitz des Schlesischen Parlaments gewann 1923 das Krakauer Architektenteam um Kazimierz Wyczyński. Nach gewissen Modifikationen wurde zwischen 1925 und 1929 der Schlesische Sejm gebaut und war nach Fertigstellung mit 634 Zimmern, über 1300 Fenstern und 161.474 m³ umbautem Raum das größte Gebäude im damaligen Polen. Das Vierflügelgebäude, mit dem Plenarsaal in der Mitte als Herzen des Komplexes, erinnert an Schlösser im Stil an “Palazzo in fortezza” und Renaissancepaläste. Es finden sich aber auch antike Inspirationen. Am oberen Teil der Fassade befinden sich nicht nur die Wappen der 12 Städte der Autonomen Woiwodschaft, sondern auch Legionsadler und Liktorenbündel, welche die Initialen RP (Republik Polen) flankieren. Der Plenarsaal hat einen elliptischen, von antiken Theatern inspirierten Grundriss. In diesem finden 80 Abgeordnete und in der Galerie zusätzlich 60 Beobachter Platz. Eine Glaskuppel lässt Tageslicht in den Plenarsaal, der als Vorbild für den Sejm in Warschau diente. Hier debattierten auch Parlamentarier der Deutschen Minderheit, die im Schlesischen Parlament vertreten war. Einer ihrer bekanntesten Gesichter war der Nazigegner Eduard Pant, der von 1922 bis 1929 das Amt des schlesischen Vizemarschalls bekleidete.
Den Wettbewerb für den Sitz des Schlesischen Parlaments gewann 1923 das Krakauer Architektenteam um Kazimierz Wyczyński.
Vom Haupteingang auf der Westseite führt ein hohes repräsentatives Vestibül zum Plenarsaal. In den zwei Untergeschossen befinden sich ein Luftschutzraum, der später zum Atombunker ausgebaut wurde, und die Schatzkammer. Dort wurden die Finanzreserven der Woiwodschaft in Goldbarren gelagert. Zu den Sicherheitsmaßnahmen zählten neben einer 40 cm dicken Panzertür auch ein Wasserbecken. Dieses befindet sich unterhalb der Schatzkammer, um Einbrüche durch Tunnelbau zu verhindern. Das Parlamentsgebäude ist zudem mit Paternosteraufzügen ausgestattet. Diese waren damals eine technische Neuheit, sind aber im heutigen Polen sehr selten geworden.
Im Zweiten Weltkrieg hatte das Schlesische Parlament Glück. Anders als das modernistische Schlesische Museum wurde es nicht als Symbol Polens zerstört. Die Monumentalität des Baus, die römische Symbolik und große Bürofläche war zum einem praktisch, zum anderen entsprachen sie dem nationalsozialistischen Architekturkanon. So wurde das Gebäude zum „Gauhaus” umfunktioniert, in dem Staats- und Parteiverwaltungen ihren Sitz fanden. Zuvor wurden alle Symbole, die auf die polnische Staatlichkeit verwiesen, zerstört, wobei nicht alle als solche erkannt wurden. Opfer dieser Maßnahme waren u. a. vier allegorische Wandreliefs in der Kuppel über dem Vestibül. Diese wurden erst 2021 rekonstruiert. Nur eine größere Baumaßnahme wurde im Gebäude durchgeführt. Der Ballsaal wurde nach Plänen Albert Speers der Architektur der Berliner Neuen Reichskanzlei angepasst. So wurden die Balkone für die Orchester, die großen Spiegel und der weiße Marmor entfernt und durch graues Marmorimitat ersetzt. Nach dem Umbau diente der Saal als Büro des Gauleiters Fritz Bracht.
Der monumentale Bau des Schlesischen Parlamentes zieht nicht nur Freunde der Architektur und der oberschlesischen Geschichte, sondern auch Filmregisseure an. So wurden u. a. Szenen der Fernsehserie „Sekunden entscheiden” (Stawka większa niż życie), Agnieszka Hollands „Red Secrets – Im Fadenkreuz Stalins” (Obywatel Jones, 2019) oder „The Zone of Interest” (Strefa Interesów, 2023) über den Kommandanten des KZs Auschwitz, Rudolf Höß, hier gedreht. Besonders beliebt bei Filmemachern ist der Marmorsaal. Als einziger im heutigen Polen ist in ihm die nationalsozialistische Architektur des Dritten Reichs erhalten, weshalb dieser bei historischen Produktionen ein gefragter Drehort ist.
Martin Wycisk