Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Moderne Zeiten vor über einem Jahrhundert

Im ehemaligen Trolleybus-Depot des Museums der Moderne des Städtischen Kulturzentrums in Allenstein hielt Rafał Bętkowski den Vortrag „Was wissen wir noch nicht über Kortau?“

Manches Mal kommt man sich im Museum der Moderne wie in Charlie Chaplins Film „Moderne Zeiten“ vor. Gerätschaften, mit denen die Bevölkerung in immer schnellerem Tempo konfrontiert wurde, sind hier zu finden. Auch wenn die Entwicklung im früheren Ostpreußen hinterherhinkte – auch hier kam sie an und verunsicherte häufig die Menschen.

Rafal Bętkowski beim Vortrag Foto: Uwe Hahnkamp

Eine ruhige Ecke für die Psychiatrie
Menschen kamen bereits früher mit den Entwicklungen und ihrem Leben nicht immer klar. Die Psychiatrie als eigenständiger Zweig der Medizin ist jedoch ebenso ein Kind des 19. Jahrhunderts wie die Einrichtung entsprechender Anstalten. Eine Musteranstalt entstand in Preußen Mitte des 19. Jahrhunderts in Allenberg (heute Znamiensk im Königsberger Gebiet). Dort wurde bereits vom geschlossenen, sogenannten Korridor-System, auf das Pavillon-System gewechselt.
Nach der Teilung der Provinzen in West- und Ostpreußen 1877 wurde der Bau einer neuen Anstalt in Kortau bei Allenstein beschlossen. Ein Grund dafür: die Überbelegung der Anstalt in Allenberg. „Als optimale Patientenzahl für einen solchen Betrieb ging man von 600 aus, da der Direktor dann noch alle persönlich kennen konnte“, erklärt Rafał Bętkowski, „in Allenberg war diese Zahl damals schon überschritten.“

Pavillons, moderne Technik, Tunnel
Die einzelnen Einrichtungen in der Kortauer Anstalt waren also separat (als „Pavillons“) erstellt, nahe der zentralen Verwaltung lag die Heilanstalt, weiter weg die Pflegeanstalt, am Rande des Geländes die schwer beherrschbaren Fälle. Beheizt wurden die Gebäude von einem zentralen Kesselhaus über unterirdische Tunnel. „Bei einem stadtkundlichen Spaziergang 2021 trafen wir in einem solchen Tunnel auch auf elektrische Leitungen“, so Rafał Bętkowski. Denn Kortau hatte bereits elektrische Energie, dazu, dank des Kortau-Sees, eine Wasserversorgung und sogar eine eigene Feuerwehr. Beim Bau der Straßenbahn Anfang des 20. Jahrhunderts führte eine Linie dorthin.

Wie alle Einrichtungen dieser Art musste sich die Ostpreußische Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Kortau, so der offizielle Name, auch selbst erhalten. Zwar zahlten sowohl die Provinz als auch die Patienten Gelder, aber es wurde auch Landwirtschaft betrieben. Die Patienten arbeiteten dort, auch als Teil der Therapie, es gab verschiedene Freizeitangebote und die Möglichkeit, im Park und in den Gärten, die übrigens nicht mit Mauern, sondern nur mit Drahtzäunen begrenzt waren, spazieren zu gehen. Kortau war also ein eingegrenztes, aber offenes Gelände und das ist es heute, als der Campus der Ermländisch-Masurischen Universität in Allenstein, immer noch.

Uwe Hahnkamp

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